Am 26. Juni 1945 wurde in San Francisco die UNO gegründet. 50 Jahre später befindet sich die Weltorganisation in der schlimmsten Krise ihrer Geschichte. Ohne Reformen droht dem einstigen Hoffnungsträger der Kollaps Von Andreas Zumach

Wenig Grund zum Feiern

Das Ende des Ost-West- Konflikts könnte die Wiederbelebung der Vereinten Nationen und die Schaffung einer friedlicheren, gerechteren Welt ermöglichen. – Anfang der 90er Jahre waren derartige Hoffnungen in die UNO weit verbreitet. Vor allem in Europa, wo 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer das Symbol des Kalten Krieges gefallen war. Die Euphorie ist längst in Enttäuschung und vielfach Zynismus umgeschlagen. Zu ihrem 50. Geburtstag steckt die Weltorganisation in der tiefsten Krise ihrer Geschichte.

Zum negativen Image der UNO trägt bei, daß sie den Regierungen in Washington, Bonn, London oder Paris häufig als Prügelknabe dient, um vom eigenen Versagen (zum Beispiel in Bosnien oder Somalia) abzulenken und den Eindruck zu erwecken, die (von denselben Regierungen wesentlich bestimmte) Nato hätte erfolgreicher handeln können, wenn die UNO sie nur gelassen hätte. Dies kann jedoch die objektiven Probleme der Weltorganisation nicht verdecken.

Das zentrale politische Problem für die Institution UNO ist die anhaltend tiefe Kluft zwischen ihren rund 40 reichen Mitgliedsstaaten aus dem Norden mit einem Fünftel der Weltbevölkerung und den 140 überwiegend armen Ländern des Südens, in denen vier Fünftel der Weltbevölkerung mehr schlecht als recht überleben. Trotz wachsender Konflikte zwischen Staaten oder Wirtschaftsblöcken des Nordens seit dem Ende des Ost-West- Konflikts und trotz aller Differenzierungen unter den Ländern des Südens hat sich das globale Nord- Süd-Gefälle in den letzten fünf Jahren weiter verschärft. Dies belegen alle einschlägigen Untersuchungen der UNO-Organisationen. Innerhalb des UNO-Systems verlieren die Länder des Südens seit Ende der 70er Jahre kontinuierlich an Einfluß – just seit sie als Folge der Entkolonisierung entsprechend ihrem Anteil an der Weltbevölkerung knapp 80 Prozent der UNO-Mitglieder und damit die Mehrheit in der Generalversammlung stellen. Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse in den für die BewohnerInnen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas höchst relevanten Wirtschafts-, Finanz- und Entwicklungsfragen wurden aus den einst dafür zuständigen UNO-Institutionen (wie zum Beipiel der UNDP oder der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung, UNCTAD) in die vom Norden dominierte Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Welthandelsorganisation (WTO) verlagert. Die UNO verliert deshalb im Süden immer mehr an Glaubwürdigkeit. Einige der in den letzten Jahren im Auftrag oder Namen der UNO durchgeführten militärischen Operationen im Süden, wie der Golfkrieg oder der Einsatz in Somalia, haben das Vertrauen in die Institution weiter beschädigt.

Oberstes Ziel einer Reform muß daher die Demokratisierung des Sicherheitsrates und anderer Organe und Strukturen der UNO sein sowie die Stärkung des Einflusses der Länder des Südens. Zum zweiten muß die UNO ihre zivilen und militärischen Instrumente zur Prävention, Deeskalation, Befriedung und Lösung von Konflikten neu bestimmen und deren Finanzierung neu regeln. Generalsekretär Butros Ghali hat dafür in seiner im Mai 1992 vorgelegten „Agenda für den Frieden“ eine Reihe von Vorschlägen gemacht und sie im Januar dieses Jahres nachgebessert. Der größte Teil der „Agenda“ bezieht sich auf nichtmilitärische Instrumente. Diese wurden von den Mitgliedsstaaten jedoch bislang nicht einmal ernsthaft diskutiert, geschweige, daß der UNO hierfür ausreichende Finanz- und Personalmittel zur Verfügung gestellt wurden. Butros Ghalis Vorschläge zum Einsatz militärischer Instrumente, die auf eine stärkere Handlungsfähigkeit der UNO und größere Unabhängigkeit von den Interessen einzelner Mitgliedsstaaten abzielten, wurden von den ständigen Ratsmitgliedern USA, Großbritannien und Frankreich bereits im Herbst 1992 vom Tisch gewischt.

Gemessen an den Aufgaben der UNO sind die von den 184 Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellten Finanzmittel völlig unzureichend. Im letzten bislang vollständig abgerechneten Haushaltsjahr, 1992, betrugen die Gesamtausgaben des UNO-Systems (inklusive der 30 Sonder- und Spezialorganisationen und aller Friedensmissionen) mit seinen 52.000 Zivilbeschäftigten und damals 90.000 Blauhelmsoldaten 10,5 Milliarden US-Dollar. Das entsprach 0,0005 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts oder 1,90 Dollar pro Kopf der Weltbevölkerung. Die Rüstungsausgaben betrugen 1992 mit 150 US-Dollar pro Kopf fast das Achtzigfache. Doch nicht nur die Haushaltsansätze für die UNO müssen erheblich aufgestockt werden, auch die Moral der Mitgliedsstaaten zur rechtzeitigen Entrichtung ihrer Pflichtbeiträge ist zu verbessern. Notfalls durch strikte Anwendung von Artikel 19 der Charta, der bei Zahlungsrückstand die Suspendierung des Stimmrechts im Sicherheitsrat, der Generalversammlung und anderen Gremien vorsieht. Derzeit haben allein die USA bei der UNO Schulden in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar.

Ein wesentlicher Beitrag zur Demokratisierung der UNO wäre die Stärkung der Mitwirkungsrechte der regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs). Dies bewies zuletzt die Wiener Menschenrechtskonferenz im Mai 93, auf der die NGOs wichtige Forderungen wie die Berufung einer Sonderbeauftragten für die Rechte der Frauen durchsetzen konnten. Anzustreben wäre, daß die NGOs – wie heute bereits in der ständigen Menschenrechtskommission – in sämtlichen UNO-Gremien und -Konferenzen Teilnahme-, Rede- und Antragsrecht erhalten.

Um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, muß die UNO Korruption, wuchernde Bürokratie und den Schlendrian im eigenen Apparat bekämpfen. Die dazu von Butros Ghali vorgelegten Pläne wurden zwar beklatscht, doch bei der Umsetzung wird der Generalsekretär von den UNO-Botschaftern blockiert, die intervenieren, wenn BürgerInnen ihres Landes entlassen oder versetzt werden sollen.

Ein Kollaps der UNO bedeutete den Rückfall in das Chaos der internationalen Beziehungen. Daran können auch diejenigen UNO-Staaten kein Interesse haben, die bei einer durchgreifenden Reform die meisten Zugeständnisse machen müßten.