"Ein völlig neutraler Name"

■ Die Anwohner einer Wilmersdorfer Idylle wehren sich seit drei Jahren erfolgreich gegen die Umbenennung des "Seebergsteigs" in "Walter-Benjamin-Straße" / "Nicht alles so politisch sehen"

Aus dem Haus Seebergsteig Nummer 5 tritt ein grauhaariger Herr. Er geht zu seinem silberfarbenen Mercedes. Das Auto steht allein auf dem grün umwucherten Bürgersteig, die Limousinen der Nachbarn sind in den Garagen geparkt. Der Seebergsteig sei nur sein zweiter Wohnsitz, erzählt der Mann: Hinter dem mannshohen Zaun erhebt sich eine mittelgroße Villa, Skulpturen im Garten, ein Hirschgeweih dient als Türklopfer für Besucher, die die elektronische Sperre am Gartenzaun passieren durften. „Wir sind uns alle einig, daß der Seebergsteig nicht umbenannt werden darf“, sagt er.

Die Anwohner blockieren seit vier Jahren erfolgreich die Umbenennung ihrer idyllischen Straße im Nobelviertel Schmargendorf. „Warum das im Osten keinem gelingt? Vielleicht sind sich da die Anwohner nicht so hundertprozentig einig wie wir hier.“

Nein, meint Erwin Opel, Inhaber des „Belvedere-Hotels“ in der Straße, der Grund, warum der Seebergsteig weiter nach dem Nazi- Ideologen Reinhold Seeberg heißen darf, die Grotewohlstraße aber mittlerweile den preußischen Namen Wilhelmstraße trägt, sei ein anderer: „Mit den Nazis, das ist vorbei, da muß man nichts mehr umbenennen. Aber mit den Kommunisten, das geht weiter. Wieviel Geld schaffen wir da rüber in den Osten. Wem haben wir das zu verdanken? Den Kommunisten! Die kosten uns heute noch Geld!“

Der billige Straßennamenspatron Reinhold Seeberg, gestorben 1935, war evangelischer Theologe und nach Ansicht der Wilmersdorfer Bündnisgrünen ein „Wegbereiter des Nationalsozialismus und Kriegspropagandist“. Deswegen wollen sie und die SPD im Bezirk den Seebergsteig umtaufen. 1991 beschloß die Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf (BVV), daß dort künftig Schilder mit dem Namen „Walter-Benjamin-Straße“ stehen sollten, um den jüdischen Schriftsteller und Literaturkritiker Walter Benjamin zu ehren. Als ein Jahr später die Mehrheiten in der BVV wechselten, machte die CDU die Rückbenennungsbeschlüsse von zwei anderen Straßen wieder rückgängig, hielt aber trotz heftiger Anwohnerproteste an der Umbenennung des Seebergsteigs fest.

Deswegen sind die Anwohner vor das Verwaltungsgericht gezogen. Die Richter wiesen die Klage ab. Die Anwohner gingen in die nächste Instanz beim Oberverwaltungsgericht: „Und da liegt die Sache bestimmt noch anderthalb Jahre“, fürchtet Jürgen Karwelat, Bündnisgrüner in der BVV Wilmersdorf.

Die Gründe gegen die Umbenennung sind zahlreich: Bei dem Namen Benjamin denkt das Wilmersdorfer Bürgertum an die „rote Hilde“ Benjamin, gefürchtete Justizministerin der DDR in den sechziger Jahren. Außerdem müßten die Visitenkarten neu gedruckt werden und Telefonate geführt werden, um alles zu erklären! „Ich könnte doch meinen Laden gleich zumachen!“ sagt der Hotelier Opel. Die Seebergler sehen nicht ein, warum ihr kleines lauschiges Sträßchen denn nicht nach einem, wie ihr Anwalt Eberhard Hoene es ausdrückt, „Gelehrten großen Stils“ benannt sein soll. Seine Bücher „Krieg und Kulturfortschritt“ (1915), „Volkserhaltung und Volksmehrung“ (1916) oder „Der Krieg und die allgemeine Menschenliebe“ (1915) hat keiner von ihnen gelesen, geben sie freimütig zu. Nur Anwalt Hoene hat sich ein bißchen gebildet: „Alles völlig harmlos! Dann müßte die Martin-Luther-Straße auch umbenannt werden. Wenn man liest, wie Luther die Bibel übersetzt hat, dann war Luther auch ein Wegbereiter des Nationalsozialismus.“ Und außerdem: „Seit fünfzig Jahren gibt es in Deutschland keine Nazis mehr“, stellt Horst Sandner fest. „Man muß das doch alles nicht immer so politisch sehen“, sagt der Zweitwohnungsbesitzer. „Hier ist in der Nähe ein kleiner See, das ist der ,See-‘ aus dem Namen. Außerdem haben wir einen Hügel, das ist der ,-berg‘. ,Seebergsteig‘ ist ein völlig neutraler Name.“

Der Wilmersdorfer Straßenkampf geht weiter: Vor kurzem ist in der BVV der Versuch gescheitert, dem Dünkelbergsteig wieder den Namen zu geben, den er vor seiner Umbenennung durch die Nazis hatte, nämlich Morgenrothstraße. Die CDU setzte sich mit einem Kompromißvorschlag durch: Der Eingangsbereich des Wilmersdorfer Museums neben dem Rathaus soll zum Morgenroth-Platz werden. Da gibt es keine Anwohner, so daß weder Wähler verlorengehen noch Visitenkarten neu gedruckt werden müssen. Nina Kaden