Die Erdkugel leicht aus der Achse gekippt

■ Aktuelle Kunst aus Neuseeland zeigt den Weg der Peripherie ins Zentrum: „Cultural Safety“ und Fotografien von Peter Peryer im Aachener Ludwig-Forum

„Identität“ ist in der aktuellen Kunst seit einiger Zeit das große Thema. Dabei geht es bekanntlich nicht um die Frage „Wer bin ich?“, sondern um die Untersuchung, wie Identität von kulturellen Kontexten bestimmt wird. Denn in diesen Kontexten wird das Ich den unterschiedlichsten Zuschreibungen ausgesetzt, die wiederum etwas mit dem Geschlecht, der Abstammung, der Hautfarbe zu tun haben und – je nachdem – Ausschluß oder Privileg bewirken. Daß nun gerade die bildende Kunst, mehr als beispielsweise die Belletristik oder die Philosophie, als Möglichkeit genutzt wird, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen oder es überhaupt erst als solches wahrzunehmen, hat ihr zu neuer Wichtigkeit verholfen. Verschleiert wird dadurch aber auch die Frage, inwieweit die Kunst inzwischen selbst zu einem Kontext geworden ist, in dem Ausschluß und Privileg vorformuliert sind. Denn wenn wir von Kunst heute sprechen, meinen wir das, was sich an künstlerischen Ausdrucksformen in der westlichen Welt bisher entwickelt hat.

Alles, was sich dieser Formensprache bedient, wird in den Kontext Kunst eingereiht. Für andere Arten der Umsetzung besteht die Gefahr, zur exotischen Attraktion zu werden. Am Umgang mit diesem Außen des westlichen Kunstkanons läßt sich aber die Qualität ablesen, die in ihm angesiedelte Arbeiten haben.

Gelegenheit, diese Qualität zu erkennen, bietet die Ausstellung „Cultural Safety“, die Arbeiten sieben junger KünstlerInnen (alle unter 40) aus Neuseeland präsentiert. Auffallend ist zunächst, daß man durch diese Ausstellung keinen Eindruck von einer genuin neuseeländischen Kunst bekommt. Die Enttäuschung dieser Erwartung lenkt zugleich die Aufmerksamkeit auf den Gedanken, es gäbe so etwas wie eine authentische nationale oder ethnische Kunst. Dennoch wird bei näherer Betrachtung deutlich, daß einige der Arbeiten primär die Situation der Menschen in Neuseeland und der dortigen Kunstszene behandeln. Die importierten Kunstformen werden also auf die Möglichkeiten hin überprüft, geographisch wie ethnisch am Rande Liegendes zu vermitteln.

Am Rande? Wie relativ eine solche Zuweisung ist, zeigt Ruth Watson mit ihrer Arbeit „Another Map of the World“. Diese Fotokopie auf Reispapier zeigt die Erdkugel leicht gekippt, so daß die südliche Hemisphäre in den Vordergrund rückt; in ihrem Mittelpunkt erscheint Neuseeland. So werden erst einmal die Relationen zurechtgerückt. Übertragen auf die aktuelle neuseeländische Kunst, verfolgt Julian Dashper einen ähnlichen Wechsel der Perspektive. Seine Installation „What I am reading at the moment“ zeigt einen durchgesessenen Ledersessel, neben dem die kompletten Jahrgänge der internationalen und ästhetisch verbindlichen Kunstzeitschrift artforum liegen. Deutlich wird die Abhängigkeit des Künstlers von diesem Medium, um überhaupt am weltweiten Kunstgeschehen teilzuhaben, und gleichzeitig die erzwungene Passivität, weil die Aufmerksamkeit dieser Zeitschrift äußerst selten die Kunst Neuseelands trifft. Dieses Dilemma thematisiert Dashpers „Coverversion“. Er plazierte 1992 eine ganzseitige Anzeige in artforum, die ein fiktives Titelbild der Zeitschrift zeigt. Zu sehen ist eine Diareihe einer von Dashpers Arbeiten, der Zeitschriftentitel verändert in derselben Type artforum international zu artforum new zealand.

Mit dem Erbe und der Gegenwart der Maori-Kultur beschäftigen sich Jacqueline Fraser und Peter Robinson. Im Hintergrund von Frasers Installation „Te Puhi“ steht das Schicksal junger Frauen, die bis zu einer für den Stamm günstigen Heirat sozial isoliert werden. Sie tragen die Last eines kollektiven Auftrags. Die Fragilität von Frasers kleinteiliger Arbeit aus Kabeln, Zöpfen und Bändern weist auf die Gefährdung der Maori-Kultur genauso hin wie auf die Situation der Frauen in einem rigorosen Regelsystem. Robinsons Installation „Untitled“ thematisiert die kommerzielle Ausschlachtung der Maori-Kultur. In einem Holzcontainer, der außen mit Werbeslogans (in den Maori-Farben rot, schwarz, weiß) vollgeschrieben ist, steht unter einer nackten Glühbirne das Schild „Sorry, sold out“. „Cultural Safety“ – kulturelle Sicherheit kann man er- und verkaufen, gutgemeinte Garantieerklärungen und Solidaritätsbekundungen schützen davor nicht. Martin Pesch

„Cultural Safety“, bis 6. August im Ludwig Forum, Aachen. Außerdem werden bis 6.8. unter dem Motto „Aotearoa – Neuseeland“ Fotos von Peter Peryer, „Second Nature“, gezeigt.