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Weltkunst in der Nußschale

700 Werke aus neun Ländern aller Kontinente sind bei der „Configura 2“ in Erfurt zu einem sommerlichen „Dialog der Kulturen“ angetreten  ■ Von Michael Nungesser

Weltkunst in Erfurt. Einst versammelte Erfurt in der Quadriennale Kunsthandwerk aus sozialistischen Ländern in seinen Mauern. Jetzt ging man in die Welt und lud zur zweiten „Configura“, die im Vierjahreswechsel stattfindet, fast 140 Künstlerinnen und Künstler aus neun verschiedenen Kulturkreisen ein. Das Ergebnis ist eine internationale Kunstausstellung, die durchaus mit denen von Kassel und Venedig zu konkurrieren gedenkt. Die thüringische Landeshauptstadt, ein mittelalterliches Kleinod, will parallel zur Biennale für ein paar Sommermonate zum Kunstmekka werden. Für die Auswahl waren, zum Teil vor Ort, mehrere Kuratorinnen und Kuratoren verantwortlich. Dabei zählten aber nicht große Namen, sondern Ideen, Konzepte und die Auseinandersetzung mit existentiellen Problemen globaler Natur.

So sind unter dem Motto „Dialog der Kulturen“ rund 700 Werke aus neun ausgewählten Ländern zusammengekommen: Ägypten, Brasilien, China, Griechenland, Indien, Mexiko, Nigeria, Rußland, USA. Sie repräsentieren jeweils einen der meist durch Religionen geprägten Kulturkreise der Welt. Daß dieser Einteilung – beispielsweise für Afrika oder Lateinamerika mit ihrer ungeheuren kulturellen Vielfalt – ein fragwürdiger Schematismus zugrunde liegt, muß man bei solchen Unternehmungen wohl in Kauf nehmen.

Die Werke werden in fünf Ausstellungshäusern gezeigt – wer Erfurt kennt, weiß, welch einmalige historische Kulisse ihn erwartet – sowie in neun temporären Bauten im öffentlichen Raum, deren Parcours den Besucher schon auf dem Weg vom Bahnhof zur Innenstadt begleitet und einführt. Um den gewünschten Dialog zu ermöglichen, wurden für Form und Inhalt bestimmte Leitlinien vorgegeben. So handelt es sich im wesentlichen um Skulpturen, Objekte sowie – Fotografie und Video einschließende – Installationen, die selbst wiederum nach sechs Leitmotiven gegliedert sind.

Die im Straßenraum befindlichen, nicht begehbaren, riesigen Holzkuben, in deren Inneres man durch Glasfenster schauen kann, enthalten die „Altäre der Kulturen“: Totentanz im mexikanischen Kubus, gestapelte Konsumartikel im US-amerikanischen oder, ganz anders, ein bemaltes Lehmhaus aus Nigeria.

Die Galerie am Fischmarkt zeigt „Gesicherte Werte“, von Götterbildern über raschelnde Kindheitserinnerungen bis zur künstlichen Erdbeerzucht als Ausdruck totaler Naturbeherrschung. Der Kulturhof Krönbacken widmet sich der „Magie der Dinge“ mit einer unerschöpflichen Fülle skurriler, surrealer und höchst ingeniöser Objekte. Der neben dem Dom befindliche Felsenkeller stellt „Das Bild vom Menschen“ vor, als ewiger Wanderer auf bildelektronischer Endlosschleife oder als holzgeschnitztes „Bündel“ zwischen Agonie und Gebet. Und in der Barfüßerkirche, die nur als offene Ruine erhalten ist, steht „Der gedeckte Tisch“ bereit. Wieder herrscht die Magie der Zahl und, wie bei den Altären, sind es insgesamt auch neun Tische, jeder von einem Künstler (oder einer Gruppe) der Teilnehmerländer gestaltet.

Eine Besonderheit bietet das derzeit größtenteils wegen Renovierungsarbeiten leerstehende Angermuseum, in dem „Lebenszeichen“ zu sehen sind. In langen, dichten Reihen, auf hohen, schmalen Sockeln oder in Glasvitrinen liegen kleine Alltagsgegenstände hübsch nebeneinander – Banales und Groteskes, Poetisches und Nützliches, Komisches und Anrührendes. Sie stammen von unterschiedlichsten Großstadtbewohnern – jeweils fünfzig aus jedem Land, von Athen bis Rio – und sind „Zeugnisse ihres kulturellen Selbstverständnisses und ihrer alltäglichen Existenz“. Verständlicher, ja lebendig, werden sie durch beigefügte Kommentare ihrer Besitzer – Objekt und Beschriftung bilden eine Einheit.

Die Grundidee von „Configura 2“ beruht auf der Überzeugung, daß nach der Auflösung der Blöcke nicht nur politisch, sondern auch kulturell eine weltweite Neuorientierung eingetreten ist. In der westlichen, postmodernen Kunstszene wird man gewahr, daß der eigene universale Geltungsanspruch ungerecht und überholt, daß eine Dezentralisierung im Gange ist. „Configura 2“ bedeutet für Deutschland – nach der „Begegnung mit den Anderen“, parallel zur documenta 1992 in Kassel – einen der ersten großen Versuche, diese Erkenntnis praktisch umzusetzen. Dabei werden natürlich, abgesehen von äußeren Problemen, wie etwa der ungleichen Länderteilnahme (Indien und Nigeria sind nur mit wenigen Einzelleistungen vertreten), auch die konzeptionellen Schwierigkeiten deutlich, die eine solche Global-Village-Sicht mit sich bringt. Nicht nur, daß jede Kultur in sich vielschichtig ist, auch der jeweilige Begriff von Kunst variiert und erschwert den Vergleich. Im Katalog gibt es zwar einige lesenswerte Beiträge zur Situation der Länder, aber der Einzelbeitrag verliert sich im Meer des Ausgestellten. Leider halten sich auch die beiden Hauptkuratoren der Ausstellung mit Erklärungen zu Konzeption und Gliederung auffällig zurück.

Beiträge aus Archäologie (Ägypten), Kunsthandwerk (Nigeria) oder religiöse Devotionalien (Indien) bleiben in der Ausstellung ebenso fragwürdig, zumal kaum vermittelt, wie sich umgekehrt bei dem mit Werken hart an der Kitschgrenze (von 32 Künstlerinnen und Künstlern!) vollgestopften und mißverstandenen „Gedeckten Tisch“ der Ägypter die Frage nach den Kriterien für zeitgenössische Kunst stellt. Aufschlußreicher erweist sich da eine (von einem Europäer geschaffene) Fotoinstallation, „Das Gesicht der Götter“, in der Kultur sich nicht als fertiges Produkt, sondern als schöpferisches Gedächtnis aus der Physiognomie nigerianischer Priesterinnen und Priester erspüren läßt.

Die Ausstellung ist in verschiedenen Innen- und Außenräumen in Erfurt bis zum 10. September zu sehen. Der Katalog kostet 35 DM, zusätzlich gibt es drei Bände à 10 DM bzw. 18,50 DM

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