Alle nichts gesehen

■ Magdeburger Polizisten üben Korpsgeist mit angeklagtem Kollegen

Magdeburg (taz) – Nach den ausländerfeindlichen Himmelfahrtskrawallen in Magdeburg hatten Augenzeugen schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Zahlreiche Beamte hätten es nicht nur unterlassen, die wie Tiere durch die Magdeburger Innenstadt gehetzten Ausländer vor ihren Verfolgern zu schützen, sondern bei den Mißhandlungen der Ausländer zum Teil auch selbst mit Hand angelegt, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Diese leitete insgesamt fünfzehn Ermittlungsverfahren gegen Polizisten ein, aber die meisten verliefen im Sande. Lediglich in einem Fall kam es überhaupt zur Anklage.

Seit gestern muß sich ein heute dreiunddreißigjähriger Polizist vor Gericht wegen Mißhandlung im Dienst verantworten. Der Beamte soll laut Anklage einen vierundzwanzigjährigen kurdischen Asylbewerber aus dem Irak sowohl bei der Festnahme als auch nach der Verbringung ins Polizeirevier mehrfach geschlagen und in die Genitalien getreten haben. Der Polizist, der seit einem Jahr vom Dienst suspendiert ist, bestreitet die Vorwürfe, die von seinem Opfer und einem weiteren Asylbewerbern aus Togo erhoben werden. Allerdings konnte weder der Kurde aus dem Irak noch der Asylbewerber aus Togo, der am Himmelfahrtstag 1994 gleichzeitig festgenommen wurde, den angeklagten Beamten zweifelsfrei als denjenigen identifizieren, der zugeschlagen und zugetreten hat.

Die Kollegen des Beschuldigten übten sich vor Gericht in Korpsgeist. Nur dann, wenn sie ihren angeklagten Kollegen entlasten konnten, konnten sie sich in ihren Aussagen ganz genau erinnern. Immer dann, wenn sie den dreiunddreißigjährigen womöglich belastet hätten, setzte bei ihnen schlagartig jedes Erinnerungsvermögen aus.

Selbst Richter und Staatsanwalt konnten sich Anmerkungen nicht verkneifen, daß wohl kaum jemand im Gerichtssal sitze, der den Beamten ihre Erinnerungslücken abnimmt. Das Urteil soll am Freitag dieser Woche verkündet werden. Eberhard Löblich