Das Modell der Zukunft

■ Optionsförderung ist im Prinzip eine „Bewährungsstrafe“. Ein Kommentar

Die Optionsförderung für die „Freien Gruppen der Darstellenden Kunst“ in Berlin ist ein elender Wechselbalg, weil sich niemand der wirklichen Problematik dieser Kulturförderung bewußt ist oder bewußt sein will. Kurz vor der Wende im Schulterschluß aller Beteiligten (der damals parlamentarischen Parteien, der Kulturverwaltung, des damaligen Beirats und der Interessenvertretungen) durchgesetzt – was schon ein einmaliger Akt war –, hat sich mittlerweile jeder „Betroffene“ seine eigene Meinung darüber gebildet.

Geklaut aus dem interessanten Kulturförderungssystem der Niederlande, sollte sie nicht nur ein Einschnitt in den intransparenten Förderungsdschungel der freien Gruppen in Berlin sein, sondern zugleich ein innovatives Moment komplementär zu den Arbeitsbedingungen freier Produktionen und auch Angriff auf die erstarrten staatlichen Theaterfinanzierungen im etablierten Theater. Das mag damals wie heute – aus verschiedenen Gründen – blauäugig gewesen sein; die Optionsförderung aber ist das Modell der Zukunft. Es bedeutet einerseits eine oft unerläßliche Planungssicherheit für die Theaterarbeit; es ist aber auch ein zeitlich begrenztes Instrument.

Kultur lebt von der Veränderung, und die Optionsförderung ist die Schnittstelle zwischen Dauer und Veränderung, zwischen Altem und Neuem. Insofern widerspricht sie der verschnarchten Theaterfinanzierung in Deutschland, die unabgeändert nach der Wende in der Staats- und Privattheaterförderung das „ewige“ elende Fortleben mit Subventionen garantiert und im „freien Bereich“ glaubt, mit „Hopplahopp“-Methoden Neues zu bewerkstelligen, aber gerade das verhindert.

Die Theaterpolitik in Berlin hat seit der Wende versagt. Die einmalige Chance, tatsächlich etwas zu ändern, wurde vertan. Das dümmliche, auf Geistesstaub reduzierte Beharrungsvermögen quer durch alle Parteien und Amtsinhaber hat den Scheck auf eine interessante Theaterlandschaft der Zukunft verfallen lassen. Der emsige und engagierte Beirat befand sich bei den diesjährigen Beratungen zur Optionsförderung genau in diesem Dilemma. Im selben befanden sich auch die freien Theater- und Tanzgruppen der Stadt, die sich aus dem Modell Optionsförderung gemäß ihrer Ansprüche und individuellen Vorstellungen natürlich klauben wollen, was sie glauben klauben zu müssen – wogegen gar nichts zu sagen ist.

Der Gedanke der Optionsförderung ist davon allerdings nicht betroffen. Sie ist – im Prinzip des Modells – eine „Bewährungsstrafe“ und eine Öffnung in das Morgen, bedeutet aber nicht „lebenslänglich“. Obwohl es im Vorfeld der Entscheidungen begründete Mutmaßungen oder Orakel gegeben hat, wie sich der Beirat dieser Aufgabe bemächtigen wird angesichts der katastrophalen Finanzsituation der Stadt, zumal am Ende seiner Amtszeit, ist seine Entscheidung verantwortbar und verantwortlich gefallen. Im einzelnen, ob nun bestimmte Theater und ihre Kürzungen oder Erhöhungen betreffend, sind sowieso nur subjektive Ansichten möglich.

Das Gremium hatte abzuwägen unter der bisherigen qualitativ zu betrachtenden Arbeit der Theater, der Produktivität der Gruppen und ihren konzeptionellen Vorstellungen für die Zukunft. All das ist letztlich nur im Einzelfall entscheidbar, allgemein gültige Kriterien gibt es nicht. Kürzungen oder Nichtberücksichtigungen sind – und dieses Wort sollte auch einmal beim Wort genommen werden – durchaus „Denkzettel“. Aus den Beratungen, denen ich beiwohnte, ist dies deutlich herausgekommen; möge es nun eine kommunikative Form geben, diese „Denkzettel“ für „Denkanstöße“ fruchtbar zu machen.

„Bewährungsstrafe“, positiv gewendet: „Bewährungschance“, ist der Kern jeder freien Theaterförderung, insbesondere aber der der Optionsförderung. Am Grundproblem, daß das gesamte Theaterfinanzierungskonzept der Stadt gründlich durchforstet und modernisiert werden muß, ändert das nichts. Nur dürfte es eine hofnungslose Illusion sein, in der Optionsförderung den Einstieg in die Dauersubvention sehen zu wollen. Das entspricht weder freier Theaterarbeit noch den Zeichen der Zeit, fördert Verkrustungen, wo sie eigentlich abzuschaffen sind.

Die Zeichen, die der Beirat setzen wollte, sind meiner Ansicht nach: 1. Die Optionsförderung ist im Prinzip – mit allen Schwächen – der Kern der freien Theaterförderung. 2. Die Erhöhung der Zahl der geförderten Gruppen bedeutet auch, daß bei der nächsten Entscheidung durchaus Gruppen wieder herausfallen können. 3. Für die Kinder- und Jugendtheater ist ein, wenn auch quantitativ sehr geringer, struktureller Einstieg bereitet worden. 4. Die Arbeit freier Theater- und Tanzgruppen ist als Willenserklärung zumindest fort- und festgeschrieben worden. 5. Im Gesamtetat bleibt ein verfügbarer Posten für die Einzelprojekt- und Spielstättenförderung, der nominal dem des Vorjahres entspricht.

Es ist nicht zynisch gemeint, wenn ich die Optionsförderung mit dem Begriff „Bewährung“ zusammen denke. Die Niederlande, wenn auch aus anderen inhaltlichen und historischen Gründen, halten mit diesem Modell ihre gesamte Kulturlandschaft in Bewegung. Bewegung ist das konstituierende Element von Kultur, nur muß sie ausgedehnt werden auf die gesamte Kulturlandschaft. Daran mangelt es in Deutschland und in Berlin heftig. Das ist einzuklagen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß „lebenslängliches Sitzen“ in Kulturbetrieben besonders erstrebenswert ist gegen die Chance, sich „in Freiheit“ zu bewegen und – eben – sich auch bewähren zu müssen. Gerd Hunger

Der Autor ist Sprecher von „Spott Berlin“, der Vereinigung Freier Theater in Berlin.