Noch thatcheristischer als Thatcher

Redwood, Portillo, Heseltine – vor den Wahlen zum Parteivorsitz der britischen Tories am Dienstag wetzen die Konkurrenten die Messer / Tories vor der endgültigen Spaltung?  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Der Kampf der beiden Johns ist nur das Vorspiel. Den Hauptkampf bestreiten die beiden Michaels. Während der britische Premierminister John Major und sein Herausforderer um das Amt des Parteichefs, John Redwood, bei den Tory-Abgeordneten um Stimmen buhlen, wetzen hinter den Kulissen andere das Messer. Das Ergebnis der Wahl zum Tory-Vorsitz am kommenden Dienstag hängt von denjenigen ab, die keinen der beiden Kandidaten wollen – ein dritter wird bis Bewerbungsschluß heute mittag wohl nicht mehr hinzukommen.

Die Anhänger des ultrarechten Arbeitsministers Michael Portillo und des proeuropäischen Handelsministers Michael Heseltine, der wegen seiner blonden Mähne „Tarzan“ getauft wurde, müssen jetzt den Rechenschieber bemühen, wenn ihre Taktik aufgehen soll. Wie die Rose, die der kleinen Alice bei „Alice in Wonderland“ ins Ohr flüsterte, sie solle in die entgegengesetzte Richtung gehen, wenn sie die Rote Königin sehen wolle, so werden die Tory-Strategen ihren jeweiligen Wunschkandidaten merkwürdige Allianzen ans Herz legen.

Portillo ist von Redwoods Kandidatur kalt erwischt worden, sah er sich bisher doch als unumstrittener Günstling des rechten Flügels. Der Zeitplan steht wohl schon lange in seinem Filofax: Niederlage bei den nächsten Parlamentswahlen, Rechtsruck der Partei, Ritterschlag durch Margaret Thatcher und andere Tory-Mumien – und fünf Jahre später Einzug in die Downing Street. Eine Stunde hat er nach Majors Rücktritt letzte Woche gegen die Verlockung angekämpft, die Sache ein bißchen zu beschleunigen – dann kam die einstweilige Loyalitätserklärung.

Redwood und Portillo haben unter den Tory-Abgeordneten dieselbe Klientel und sind sich deshalb nicht besonders grün. Portillo kann nicht damit rechnen, daß Redwood brav nach Hause geht, nachdem er Major gestürzt hat, um Portillo das rechte Feld zu überlassen. Für das Portillo-Lager gilt es also, Major mit Enthaltungen zum Abtritt zu bewegen, damit Redwood nicht gleich in der ersten Runde gewinnt. Ein Drahtseilakt: Bei zu vielen Enthaltungen ist Major womöglich lachender Dritter.

Heseltines Anhänger müssen genauso kalkulieren: Schneidet Redwood gut – aber nicht zu gut – ab und kandidiert er im zweiten Wahlgang, sind die Stimmen der Parteirechten zwischen ihm und Portillo gespalten. Der Weg wäre dann frei für „Tarzan“ Heseltine, für den es aus Alters- und Gesundheitsgründen um die letzte Chance geht. Nach dieser Arithmetik muß der „linke“ Flügel für den rechten Redwood stimmen, während ihm der rechte Portillo-Clan die Stimme vorenthalten müßte.

Doch eigentlich ist die Frage nach dem Tory-Chef eher nebensächlich. Für die Partei steht viel mehr auf dem Spiel – ihre Zukunft. Denn eins ist sicher: Die Einheit der Partei, die Major mit seinem Rücktritt herbeiführen wollte, ist das unwahrscheinlichste Wahlergebnis – egal, wer gewinnt. Die Tories sind und bleiben zwei Parteien. Es ist nicht auszuschließen, daß sich diese Einsicht bei ihnen durchsetzt und sie die lange prophezeite Spaltung vollziehen. Es erscheint jedenfalls unvorstellbar, daß Pro- Europäer wie Heseltine und Schatzkanzler Kenneth Clarke bei Europafragen hinter einem Premierminister Redwood durch die Nein-Lobby trotten.

Es ist eine Ironie der Geschichte, daß die Tories ausgerechnet an Europa zu zerbrechen drohen, sind doch ihre Premierminister seit dreißig Jahren Euro-Förderer: Macmillan hat den Aufnahmeantrag in die EWG gestellt, Heath hat den Beitritt unter Dach und Fach gebracht, Thatcher hat die Einheitliche Europäische Akte unterzeichnet, und Major schließlich hat die Maastrichter Verträge ausgehandelt – allesamt Tories. Als Major ins Amt kam, war das Kernstück seiner Politik die Mitgliedschaft im Europäischen Wechselkurssystem (EWS). Der erzwungene EWS-Austritt und der Sturz des Pfundes vor drei Jahren waren für viele Konservative Schlüsselerlebnisse. Fortan wurden ökonomische Argumente zugunsten einer diffusen Debatte um die nationale Identität zurückgedrängt, wobei unter „national“ zunehmend „englisch“ – und nicht etwa „britisch“ – verstanden wurde.

Bei dem Tory-Zwist geht es aber nicht nur um Europa. Der rechte Flügel hat aus dem Versagen des Thatcherismus die Lehre gezogen, daß die Politik nicht thatcheristisch genug war. Den Rückzug des Staates aus Wirtschaft und Sozialbereich sowie einen starken Nationalstaat mit rassistischen Zügen hat auch Thatcher angestrebt, doch ihre NachfolgerInnen gehen weiter: Sie befürworten das individualistische US-Wirtschaftsmodell und eine Politik der „Familienwerte“ – Liberalismus für die Wirtschaft, Disziplin für das Volk. Es wäre der endgültige Abschied von den Rudimenten einer sozialen Marktwirtschaft und der traditionellen „One-Nation-Philosophie“, die für den nationalen Konsens steht. Auch ein Heseltine käme nicht umhin, die Parteiposition neu zu definieren, nachdem die modernisierte Labour Party unter Tony Blair den Tories die Mitte weggenommen hat.

John Major ist jedenfalls ein miserabler Spieler. Er hat bei seinem Rücktritt auf eine verlogene Kabinettseinheit gesetzt, mit der er die Differenzen übertünchen wollte. Dieser Plan ist durch Redwoods Kandidatur wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Das Boulevardblatt Sun titelte bereits „Redwood oder Deadwood“ – Rotholz oder Totholz. Freilich muß sich Redwood merken, daß das Sprichwort „Wer wagt, gewinnt“ in der Politik nichts gilt.

Major hingegen hat seine Ansprüche erheblich heruntergeschraubt. Wollte er in der vergangenen Woche mit der „winzigen Minderheit“ Schlitten fahren, so philosophiert er nun, daß eine Stimme Mehrheit auch ein Sieg sei. Das sind die Töne eines Verlierers.

Redwood-Portrait Seite 11