"Es gibt keine guten Minen"

■ Der Mathematiker Ulrich Wollenweber hat früher bei der Dasa an der Konstruktion von Minen mitgewirkt / Tests mit Pappkameraden machen deutlich, was ein "Weichziel" ist

Zehn Jahre lang hat der heute 42jährige Ulrich Wollenweber in der Entwicklungsabteilung der Dasa Schrobenhausen (vormals MBB) gearbeitet. Dort war er unter anderem an der Entwicklung von Panzerabwehrminen beteiligt. Vor sechs Jahren verließ Ulrich Wollenweber die Firma und suchte sich einen Arbeitsplatz außerhalb der Rüstungsindustrie.

taz: Hat Ihr Gewissen nicht mehr mitgespielt, oder warum haben Sie Ihren Job in Schrobenhausen geschmissen?

Ulrich Wollenweber: Also, ich habe schon grundsätzlich die Einstellung, daß wir uns wehren müssen, und ich halte auch Minen generell für ein geeignetes Mittel, sich gegen einen Angreifer zu wehren. Bei den von uns produzierten Panzerabwehrminen kann ich sagen, daß ich damit auch leben kann. Auch damit, daß ich solche Geräte mit entwickelt habe.

Was war dann aber der Grund für Ihren Wechsel? Sie haben ja auch persönliche Nachteile, vor allem einen Ortswechsel, in Kauf genommen.

Mir kamen Bedenken, als die Mauern gen Osten bröckelten, als das Thema Ostblock und damit die – nennen wir es – Bedrohungslage eine andere wurde. Da habe ich angefangen, das, was ich tue, grundsätzlich in Frage zu stellen, weil ich an mich selbst den Anspruch stelle, eine sinnvolle Arbeit zu machen – eine Arbeit mit Ergebnissen, zu denen ich stehen kann.

Es stimmt, daß ich dafür gewisse Nachteile in Kauf nehmen mußte. Ich habe ja gerne bei MBB gearbeitet. Das Betriebsklima, die Kollegen, das war ja alles okay. Finanziell habe ich mich durch den Wechsel nicht verschlechtert, aber ich mußte Zugeständnisse bezüglich der Mobilität machen. Ich komme jetzt also nur am Wochenende heim zu meiner Familie.

Wenn man heute die Informationen Ihrer ehemaligen Firma liest, dann klingt das alles absolut clean (siehe nebenstehenden Kasten) . Da ist kaum mehr von Minen die Rede, und wenn, dann sind diese Minen regelrechte Menschenfreunde, möchte man meinen. Sie zerstören sich angeblich nach kurzer Zeit selbst. Eigene Panzer können unbeschadet drüberfahren.

Und dann tauchen immer wieder solche Formulierungen auf wie „nicht gegen Weichziele gerichtet“ und ähnliches. Hat es Sie da nicht geschaudert, wenn Sie von Weichzielen gesprochen haben? Damit sind ja schließlich Menschen gemeint.

Ja, da bewegt man sich dann plötzlich mitten im Zentrum des Problems, das man sonst verdrängt. Man stumpft ja im Laufe der Jahre etwas ab, was die Formulierungen angeht. Den Gefechtskopf als Wirkteil zu bezeichnen, das macht mir nichts aus. Aber gerade diese Formulierung „Weichziel“, die hat sicher nicht nur mich beschäftigt. Es gibt vor allem zwei Situationen, in denen man damit konfrontiert wird.

Und die wären?

Es gibt sogenannte Verwundbarkeitsmodelle, und dabei muß man eben auch die Wirkung am Weichziel berechnen. Ich habe es zwar nie erlebt, daß Mitarbeiter untereinander darüber gesprochen hätten, aber das war allen oder zumindest den meisten immer äußerst unangenehm. In dieser Phase ist auch der Wunsch nach Konversion, nach anderen Aufgaben besonders groß.

Ein zweiter Moment, der mir schwer an die Nieren ging, waren die Tests auf dem firmeneigenen Testgelände. Die Wirkung auf Weichziele wird an sogenannten Ersatzzielen getestet, das sind Pappkameraden auf dem Firmensprengplatz. Man muß ja prüfen, ob der Splitter das Ziel wirklich durchdringt und ähnliches. Da wird einem dann schon sehr bewußt, was ein Weichziel tatsächlich ist, auch wenn den Pappkameraden keine Gesichter aufgemalt sind. Die Konturen sind schon sehr menschenähnlich. Man tröstet sich dann damit, daß man schließlich keine Personenminen, wie beispielsweise die an der ehemaligen DDR-Grenze, herstellt.

Sind das, was Sie und Ihre Kollegen produziert und entwickelt haben oder noch immer entwickeln, denn die sogenannten „guten“ Minen?

Nein, das ist Quatsch. Von „guten“ Minen darf man meines Erachtens nicht sprechen. Der Begriff ist in dem Zusammenhang unsinnig. Klar, es gibt viel ekelhaftere Sprengkörper, aber trotzdem: eine gute Mine gibt es nicht.

Ist das dann nicht eine geschönte Darstellung, wenn uns der TDW-Werksleiter mitteilt, eigentlich würde man ja Panzerabwehr-Systeme und gar keine Minen bauen. Vor allem aber würden keine Weichziel-Minen hergestellt?

Ja, das finde ich schon etwas geschönt – trotz der ja eben angesprochenen deutlichen Unterschiede und obwohl ich noch einmal hervorheben möchte, daß ich in Deutschland ausschließlich vom Verteidigungsfall ausgehe. Aber wenn ich heute ein hartes Ziel, also einen Panzer eliminiere, dann wird eben nicht nur dieses harte Ziel zerstört, sondern auch das – jetzt wird es fast zynisch in diesem Zusammenhang – „Weichziel“.

Warum sind Sie denn so ein Einzelfall, warum gibt es kaum Mitarbeiter, die es Ihnen gleichtun und sich einen neuen Arbeitsplatz suchen?

Wie ich schon sagte: Erstens ist das Werk in Schrobenhausen ein wirklich guter Arbeitsplatz. Wir hatten ein sehr gutes Betriebsklima, gute Bezahlung, gute Sozialleistungen. Hinzu kommt, daß sehr viele hochspezialisierte Fachkräfte dort beschäftigt sind, die nicht ohne weiteres eine andere Stelle finden. Und wenn doch, dann stellt das sehr hohe Anforderungen an die Mobilität.

Es ist ja nicht wie in einer Großstadt, wo Sie einfach von einem Arbeitgeber zum anderen wechseln können oder dies zumindest relativ leicht möglich ist. Im übrigen bin ich davon überzeugt, daß viele ehemalige Kollegen gerne einen Wechsel vollziehen würden, wenn sie ein halbwegs adäquates Angebot bekämen.

Und wie geht es Ihnen heute? Fühlen Sie sich in Ihrer heutigen Tätigkeit wohler als damals bei der MBB?

Ja! In einen Rüstungsbetrieb würde ich heute nicht mehr gehen. Interview: Klaus Wittmann