Bissige Reaktion

■ Zahnärzten droht Staatskommissar

Hannover (taz) – Ab Montag wollen Niedersachsens Kassenzahnärzte Bohrer und Zange nur noch gegen Rechnung in die Hand nehmen, die Versicherungskarten ihrer Patienten nicht mehr akzeptieren. Die von Karies geplagten sollen selbst sehen, wie sie die eigenmächtig von den Zahnärzten erhöhten Rechnungsbeträge von den Kassen wiederbekommen. „Mehr als die Hälfte der niedersächsischen Zahnärzte wird sich wohl an dieser rechtswidrigen Aktion beteiligen“, schätzte gestern der Sprecher des niedersächsischen Sozialministers und präsentierte gleichzeitig den „Staatskommissar“, mit dem die Landesregierung jetzt zum Gegenschlag gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen (KZVN) ausholt, die den kollektiven Vertragsbruch angeschoben hat. Der 62jährige Ministerialdirigent Ignaz Jung Lundberg soll am Montag morgen in das Haus der KZVN umziehen und dort „alle Funktionen des Vorstandes und der Vertreterversammlung“ der Kassenzahnärzte übernehmen. „Falls die Tür nicht freiwillig geöffnet wird, müssen wir eben den Schlüsseldienst holen“, sagte gestern der „auf alles vorbereitete“ Ministeriumssprecher.

Die gesetzliche Möglichkeit, der zahnärztlichen Standesorganisation einen Staatskommissar vor die Nase zu setzen, wurde bereits im Jahre 1993 geschaffen. Bislang wurde von dieser Möglichkeit allerdings noch kein Gebrauch gemacht. Die Verhandlungen zwischen der KZVN und den Kassen über höhere Honorare für das Jahr 1995 sind bisher ergebnislos geblieben. Das in solchen Fällen gesetzlich vorgesehene Verfahren vor einem speziellen Schiedsamt will die KZVN bisher nicht akzeptieren, sie lehnt den Schiedsamtsvorsitzenden als befangen ab. Die Rechtsauffassung des Sozialministeriums, daß dann eben die alten Honorarvereinbarungen mit den Kassen weiter gelten, teilen die Zahnärzte natürlich nicht. Staatskommissar Lundberg hat gestern schon einmal die Instrumente vorgestellt, mit denen er gegen den Kassenboykott zu Felde ziehen will: Jedem Zahnarzt, der die Behandlung verweigere, drohe der Entzug der kassenzahnärztlichen Zulassung. Falls tatsächlich mehr als die Hälfte der Kassenzahnärzte die Chipkarte nicht mehr akzeptiere, könne auch der gesamten Kassenzahnärztlichen Vereinigung der „Sicherstellungsauftrag“ entzogen werden. Jürgen Voges