Der große Integrator

Ausgerechnet im ungeliebten Berlin feiert die Rhein-Partei CDU ihren Fünfzigsten / Wie immer nahm Helmut Kohl die Festreden ganz persönlich  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Im ehemaligen Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt – dort wo am 8. Mai dem Kriegsende gedacht wurde – feierte gestern die CDU ihren 50jährigen Geburtstag. Zum Ständchen kam fast die gesamte Unionsprominenz, eine ganze Reihe wichtiger Liberaler und stellvertretend für die SPD Wolfgang Thierse. Und von der ersten bis zur letzten Rede – Gesamtdauer drei Stunden – stand fest: Dies ist ein Freudentag, und die nächsten Wahlen, 1998, möchte man ebenfalls gewinnen, ja man muß sie gewinnen, damit die innere Einheit vollendet wird. Die Feier, sagte Helmut Kohl, „ist ein Stück wie die Vollendung eines Traums“.

Eigentlich ist es eine Skurrilität, daß ausgerechnet die CDU ihre zentrale Festveranstaltung nach Berlin verlegte. Zwar wurde hier, genau wie in Frankfurt und Köln, Mitte Juni 1945 die zonale CDU gegründet, aber wenn es eine Partei in Deutschland gibt, die in ihrer Vergangenheit für Westbindung und Bonn stand, dann ist es die CDU. Unvergeßlich bleibt Konrad Adenauers Bonmot, daß hinter Magdeburg die „Tundra“ beginne. Aber von dieser einseitigen und pragmatischen Westorientierung zugunsten einer Wiedervereinigungsoption in den fünfziger Jahren – und hart durchgefochten gegen die SPD Kurt Schumachers – war an diesem Mittwoch nichts zu hören.

Im Gegenteil: CDU-Generalsekretär Peter Hintze begründet die Entscheidung seiner Partei, in Berlin zu feiern, mit dem Satz, daß „unsere Hauptstadt und die Einheit der Deutschen untrennbar verbunden sind: Das war die Idee unserer Gründer.“ Von da war der Bogen dann schnell zu Helmut Kohl gezogen, dessen Name immer verbunden bleiben wird, „mit der Verwirklichung der Deutschen Einheit“. Nicht enden wollender Beifall!

Überhaupt: Glaubt man den vielen Reden, besonders denen von Hintze, Berlins Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen, dem rheinländischen Gründungsmitglied Hans Katzer, CSU-Chef Theodor Waigel und natürlich Helmut Kohl, dann ist die Union ausschließlich von Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus und in den Gefängniszellen gegründet worden. Die Namen von Andreas Hermes, Jakob Kaiser, Eugen Gerstenmeier und anderen, Männer also, die wirklich in den Konzentrationslagern für ihre demokratische Gesinnung büßen mußten, wurden gestern oft beschworen, um Kontinuitätslinien bis heute zu ziehen.

Selbstverständlich erwähnte niemand die große Leistung der CDU, Alt-Nazis wie Hans Globke, Theodor Oberländer, ganz zu schweigen von solchen Prominenten wie Kurt-Georg Kiesinger oder Hans Filbinger, in hohe Ämter zu hieven. Auch bei dem Namen von Karl Carstens fällt heute niemand mehr die NSDAP-Mitgliedschaft ein. Helmut Kohl hat auf eine ironische Weise recht, wenn er behauptet: „Die Union war die erste große Bürgerinitative in Deutschland.“

Auch bei einem anderen Punkt – der gerade in Berlin hätte thematisiert werden müssen –, nämlich die CDU-Ost, blieben alle Festredner wohlwollend vergeßlich. Das treffende Wort „Blockpartei“, deren Vertreter im Volksmund „Blockflöten“ genannt wurden, hörte man weder bei den Reden noch beim anschließenden Buffet mit Lachs und Sekt. Auch wenn man über die Ost-CDU redete, berief man sich gerne auf den unbeugsamen Widerstandsgeist von Hermes und Kaiser, die 1945 resp. 1947 wegen ihres Eintretens gegen die Bodenreform oder die Einheitsfrontbeschlüsse von den Sowjets zwangsabgesetzt wurden. Und Helmut Kohl erinnerte an das Schicksal ostdeutscher Christdemokraten, von denen Tausende in der DDR verfolgt wurden.

Bei all diesem Widerstand, der jetzt „als gemeinsame Wurzel“ (Angela Merkel) definiert wird, ist es nur zu verständlich, daß niemand den Namen von Otto Nuschke erwähnen wollte. Er gehört ebenfalls zu den Berliner Gründungsmitgliedern, mußte aber 1953, nachdem er für einige Tage nach West-Berlin geflüchtet war, von der Polizei in „Schutzhaft“ genommen werden. Denn es bestand akute Gefahr, daß ihn zu Hause Ostberliner Demonstranten verprügeln. Angela Merkel erhielt von den etwa 1.200 Gästen viel Beifall, als sie nach der Erzählung einiger persönlicher Erlebnisse mit widerspenstigen Christdemokraten für eine differenzierte Aufarbeitung der Geschichte warb. Man solle „über die guten und die Schattenseiten der Partei“ konstruktiv streiten.Seite 12