Schiffe als Liebeslager

■ Odysseus und die Frauen: Eine italienische Variante zu Gast im "Theater zerbrochene Fenster"

Odysseus ist auf der Suche nach der wahren Liebe und findet nur Täuschung und Wiederholung: „Capitano Ulisse. Modernes Drama in drei Akten“ handelt von den Liebesleiden des Kapitäns Odysseus auf der Heimfahrt nach Ithaka. Erst muß er Kirke überwinden, die er ohnmächtig zurückläßt, dann den Avancen von Kalypso und Minerva entfliehen, um schließlich zu Hause die große Enttäuschung zu erfahren. Denn Penelope gleicht in nichts mehr der Frau, die er in seiner Erinnerung bewahrt hat. Der griechische Held erkennt sie nicht wieder und verläßt im bürgerlichen Anzug die Bühne.

Das Drama von Alberto Savinio ist philosophisches Worttheater und verfremdete Farce zugleich. Präzision, Kargheit und Ironie der Sprache des in den achtziger Jahren in Mode gekommenen Savinio erzeugen seinen unverkennbaren, hierzulande immer noch viel zu unbekannten Tonfall. In Deutschland steckt Alberto Savinio nach wie vor zu tief im Schatten seines Bruder Giorgio de Chirico.

Nun ist es der Initiative des Werkstatt-Theaters „Teatro tra le Righe“ zu verdanken, daß Savinios selten gespieltes Stück ein wenig von der großen Aufmerksamkeit zuteil wird, die es verdient. Gespielt wird in italienischer Sprache im „Theater Zerbrochene Fenster“, unter der Regie von Wolfgang Barth, Regisseur am Stadttheater Heidelberg, der für dieses Projekt nach Berlin gekommen ist. Die Schauspieler sind zum Großteil Studenten, Italiener und Deutsche. Ein junger flotter Odysseus (Luciano Siliprandi) und die drei Verführerinnen Kirke, Kalypso und Penelope, alle von einer Schauspielerin (Francesca Giudice) dargestellt: das immer gleiche Weibliche.

Idee und Konzept stammen von der Italienisch-Lektorin Teresa Zonno, der es vor allem um eine kontinuierliche vielseitige Projektarbeit geht. Es ist Studententheater im besten Sinn, wie es eigentlich eher der angloamerikanischen als der italodeutschen Tradition entspricht. Gespielt wird zwar auf italienisch, doch zusätzlich wurde das Stück von einer Gruppe von Studenten ins Deutsche übersetzt. Theaterspiel und Übersetzung, im Programmheft nachzuprüfen, sollen einander ergänzen. Teresa Zonno schwebt gleichzeitig ein didaktischer wie auch schauspielerischer Prozeß vor. Und „Capitano Ulisse“ war nur der Auftakt: Jedes Jahr will sie eine neue Produktion vorstellen und damit zeigen, „daß es eine europäische Kultur schon lange gibt, wie müssen sie nicht erst jetzt neu schaffen“.

Die Inszenierung kommt mit einfachen Mitteln aus, mit wenigen, aber genau studierten und gezielt eingesetzten Effekten. Die Bühne ist ein Flecken Erde mit Sand bedeckt, von einem leichten pastellfarbenen Vorhang durchteilt. Ein silbernes badewannenförmiges Möbel ist gleichzeitig Schiff und Liebeslager. So einfach kann das Leben sein, auch das Theater.

Ursprünglich schrieb Savinio seinen „Capitano Ulisse“ 1925 für das „Teatro d'Arte“ von Luigi Pirandello, dessen Patenschaft man dem Stück auch anmerkt. Pirandello sollte selbst Regie führen, doch es kam nicht dazu, und die Uraufführung fand erst 1938 im „Teatro delle Arti“ in Rom statt. Erst 42 Jahre später, 1990, folgte die zweite Inszenierung des Stücks, von Mario Missiroli am „Teatro stabile“ in Palermo. Um so erfreulicher ist die Initiative des „Teatro tra le Righe“, einen wenig bekannten, interessanten Text vorzustellen. Ein mutiges Projekt, eine gelungene Zusammenarbeit der Freien Universtität und der Humboldt-Universität mit professionellen Theatermachern – eine Linie, die man weiterverfolgt sehen möchte.

Realisieren ließ sich das ambitionierte Theaterprojekt neben der finanziellen Unterstützung der Senatsverwaltungen für kulturelle Angelegenheiten und für Wissenschaft und Forschung mit Hilfe von Banken, Industrie und schließlich der italienischen Gastronomie in Berlin.

Nur das italienische Kulturinstitut, das von seinem kulturellen Auftrag her bei solch einem Projekt eigentlich an erster Stelle stehen müßte, fehlt. Taub für die Rufe der unbequemen Kirke? Das Publikum jedenfalls hat die Rufe vernommen: das geglückte Theaterexperiment wurde mit begeistertem Applaus belohnt. Margit Knapp

„Capitano Ulisse“ von Alberto Savinio. Regie: Wolfgang Barth. Mit Luciano Siliprandi, Francesca Giudice, Maria Ruhe, Godehard Giese u.a. Nächste Aufführungen: 30.6., 1.7., 2.7., 20 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg