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"In die SPD-Troika hab' ich mich nicht gedrängt"

■ Zwar liegt er mit Parteichef Rudolf Scharping im Clinch, aber auf dessen Posten hege er keinerlei Ambitionen, sagt Gerhard Schröder

taz: Herr Schröder, in Umfragen erreichen Sie erstaunlich hohe Popularitätswerte.

Gerhard Schröder: Ich bin da auch erstaunt und zugleich erfreut. Das muß mit den Inhalten der Politik zusammenhängen, für die ich stehe, und vielleicht auch mit der Art und Weise, wie ich sie öffentlich vertrete.

Andererseits bläst Ihnen gerade jetzt der Wind ins Gesicht, melden sich Widersacher, gelingt wenig.

Wenn der Wind ins Gesicht bläst, muß man den Rücken steif machen. Das kann man in Norddeutschland lernen. Daß wenig gelingt, kann man nicht sagen. Wir haben in Niedersachsen gerade wieder ein Sparprogramm beschlossen, allein für das Jahr 1995 Einsparungen von 660 Millionen. Das sollen andere erst mal zuwege bringen. Dabei konnten wir Kürzungen in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik vermeiden. Leider müssen wir auch in der Bildungspolitik sparsamer sein als früher. Allerdings haben wir in der jetzigen Runde keine zusätzlichen Belastungen für die Schulen und erst recht keine für die Hochschulen beschlossen. Das kann sich sehen lassen.

Die einzigen Ziele, die ihre SPD-Alleinregierung noch verfolgt, sind Einsparziele.

Das kann man so nicht sagen. Wir haben etwa über unsere alles in allem erfolgreiche Bürgschaftspolitik Arbeitsplätze sichern können, haben auch bei der Neuansiedlung von Unternehmen Erfolge erreicht, wenn auch keine spektakulären. Auch daß wir im Bildungsbereich nicht weiter einschneiden müssen, ist eine politische Leistung, die sich unter den gegenwärtigen finanzpolitischen Bedingungen sehen lassen kann. Aber ich verhehle nicht: Wegen der Belastungen durch die deutsche Einheit, wegen der Notwendigkeit, das Kindergeld zu erhöhen und das Existenzminimum steuerlich freizustellen, gibt es in allen Bereichen, die finanziert werden müssen, nur noch beschränkte Politikmöglichkeiten.

Schon auf die bisherigen Stellenstreichungen im Schulbereich haben Schüler und Lehrer mit Protesten geantwortet, was Sie sehr in Rage gebracht hat.

In Rage gebracht ist falsch. Ich habe diese Proteste als ungerechtfertigt angesehen. Schließlich haben andere Bundesländer zu ähnlichen, gelegentlich sogar schärferen Maßnahmen greifen müssen, was etwa jüngst im Saarland auch zu Protesten geführt hat. Die Schüler und Lehrerinnen und Lehrer müssen einsehen, daß man nur das in Bildung investieren kann, was man an Geld hat.

Proteste sind kein Grund, die Lehrer, die ja auch zehn Prozent der SPD-Parteimitglieder stellen, als „faule Säcke“ zu titulieren.

Zu dieser Frage ist alles gesagt, was gesagt werden mußte. Ich glaube, daß das auch die Öffentlichkeit entsprechend verstanden hat. Ich habe erklärt, was der Hintergrund meiner Äußerungen war, wie sie zustande gekommen sind. Ich habe erklärt, daß es nicht meine Absicht war, jemand persönlich herabzuwürdigen. Und daß es, für den Fall, daß sich jemand persönlich getroffen fühlt, mir leid tut. Das ist so, daß muß man nicht jeden Tag wiederholen.

Von den Aktiven in der SPD ist sogar jeder fünfte ein Lehrer oder eine Lehrerin.

Wenn das so ist, ist uns das willkommen.

Zu Ihren bundespolitischen Erfolgen, zum Energiekonsens. Die beiden letzten Gesprächsrunden, die zum und die nach dem ersten Gorleben-Transport, hätten Sie sich sparen können.

Solche Fragen kann man im nachhinein immer schlauer beantworten als vorher. Ich habe diese Gespräche schon im Jahre 1993 angestoßen, und seit dieser Zeit wird in Deutschland über Energiepolitik anders diskutiert als vorher. Etwa ist die Notwendigkeit des Energiesparens und der Förderung erneuerbarer Energieträger sehr stark ins öffentliche Bewußtsein geraten. Natürlich wäre ich gern weiter gekommen. Aber ich sehe auch keinen Grund, in Sack und Asche zu laufen.

Beim Konsens hat Sie der eigene Parteivorsitzende ausgebremst.

Ich habe mir abgewöhnt, Sachfragen zu personalisieren. In diesem Punkt unterscheide ich mich von vielen anderen.

Hinter Sachfragen stehen auch immer Personen, die sie vertreten.

Das ist sicher so. Aber ich persönlich will keinen Beitrag zur Personalisierung der politischen Debatte leisten.

Aber mit dem Regierungslager schien ihrer Ansicht nach ein Konsens möglich zu sein.

Also das weiß ich nicht, ob das wirklich so war. Für mich stand fest, daß man in Arbeitsgruppen über Restlaufzeiten für die bestehenden AKWs hätte reden können. Die andere Seite hatte zu erklären, was eine Option auf einen neuen Reaktortyp inhaltlich bedeutet. Man hätte zugestehen müssen, daß man eine solche Option, die ja Forschung und Entwicklung beinhaltet, nicht behindert. Dafür hätte man aber auch das Zugeständnis bekommen, daß eine Realisierung der Option, also ein Bau neuer Reaktoren, nicht gegen die SPD beschlossen worden wäre. Ob dieser Vorschlag so schlecht war, wird die Historie zeigen.

Abgelehnt hat ihn die SPD, und nicht Herr Rexrodt.

In solchen Gesprächen wird doch viel taktiert. Ob die andere Seite tatsächlich bereit war, Restlaufzeiten zu vereinbaren und nicht nur über sie zu reden, wird man nie erfahren, weil die Gespräche beendet worden sind.

Dem folgte der zweite Knatsch mit ihrem Parteivorsitzenden. Der sprach von einem steuerpolitischen „Affentheater“ in der SPD, und mit dem Baumbewohner waren wohl Sie gemeint.

Das weiß ich nicht und will ich nicht untersuchen, wer da gemeint war. Fest steht: Ich habe bereits in der letzten Woche die steuerpolitische Position der niedersächsischen Landesregierung erläutert. Jeder hätte also wissen können, wo wir stehen. Welche Motive Herrn Scharping bewogen haben, daraus eine personalisierte Auseinandersetzung zu machen, entzieht sich meiner Kenntnis.

In der Öffentlichkeit erscheint Ihre Ablehnung der Steuerpläne der Bundes-SPD als Retourkutsche ...

... Das ist ja gerade völlig falsch. Bei der Steuerpolitik geht es um ganz elementare Interessen Niedersachsens ...

... Erst macht der Scharping dem Schröder den Konsens kaputt. Und der läßt seinen Vorsitzenden dann bei der Steuerpolitik gegen die Wand fahren.

Das ist absoluter Unsinn. Erstens hat nicht er den Konsens kaputtgemacht. Zweitens hat das Abstimmungsverhalten Niedersachsens im Bundesrat nun überhaupt nichts mit Scharping zu tun. Hier geht es um klare Interessen des Landes. Es geht um die Frage, wie wir unseren Landeshaushalt so einrichten können, daß wir im Sozialen, im Bildungsbereich, bei der Wirtschaftsförderung nicht aufhören müssen, politisch zu agieren. Darauf haben wir zu achten und auf sonst nichts.

Können Sie diese Landesinteressen beziffern?

Wenn man die Forderungen, die sich aus dem Steuerpaket ergeben, zusammenrechnet, dann geht es im nächsten Jahr um weitere Ausfälle für Niedersachsen zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden. Die lassen sich nicht wegsparen. Wir sind beim Sparen an die Grenze des Vertretbaren gekommen. Vielleicht gibt es an einigen kleineren Punkten noch Möglichkeiten, aber generell ist das Ende der Fahnenstange erreicht, sonst wird die Landespolitik in Niedersachsen unerträglich erschwert.

Zu Mindereinahmen von 1,2 Milliarden würden doch schon die Vorschläge des Bundes zur Freistellung des Existenzminimums führen. Die Forderungen der SPD- Bundestagsfraktion vergrößern dieses Loch noch einmal?

Bei den Vorschlägen der SPD beläuft sich der Einnahmeausfall rechnerisch zunächst auf 2,1 Milliarden. Diese Summe vermindert sich durch Gegenfinanzierungsvorschläge der Länderfinanzminister, durch den Abbau von Steuersubventionen, auf die schon genannte Größenordnung bis 1,5 Milliarden. Wir konnten aber nicht alle Gegenfinanzierungsvorschläge der Länderfinanzminister aufrechterhalten, dies wäre kontraproduktiv gewesen. Angesichts der Größenordnung der Einnahmeausfälle müssen wir beim Verteilen zurückhaltender sein.

Zurückhaltender, als es die Bundes-SPD will, beim Existenzminimum und beim Kindergeld.

Auch ich würde gerne beim Kindergeld noch mehr drauflegen. Aber eine Steigerung von jetzt 70 auf 200 Mark ist auch kein Pappenstiel. Jede weiteren 10 Mark helfen natürlich den Familien. Aber das Ganze muß finanzierbar bleiben. Vielleicht kann man hier ein Stufenmodell für weitere Verbesserungen über die 200 Mark hinaus vereinbaren. Das gleiche gilt für die steuerliche Freistellung des Existenzminimums. Auch hier sollten zunächst 12.000, für Ehepaare 24.000 Mark, freigestellt werden. Nach einer Frist von zwei bis drei Jahren wäre dann eine weitere stufenweise Anhebung denkbar.

Vor allem mit Ihrer Kritik an bestimmten Gegenfinanzierungsvorschlägen vertreten Sie allerdings keineswegs nur Landes-, sondern auch Industrieinteressen.

Das ist richtig. Sehen Sie, Niedersachsen hat sich als Nicht- Kohle-Land für die Förderung der deutschen Steinkohle stark gemacht. Und was für Nordrhein- Westfalen und das Saarland die Kohle ist, das ist für uns die Automobilindustrie. Deswegen hegen und pflegen wir diese.

Statt „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ jetzt „Auto, Auto, Auto“?

In Niedersachsen gibt es allein 100.000 Beschäftigte bei VW, und in der Zulieferindustrie noch viel mehr. An diesem Komplex hängen wiederum sehr viele Arbeitsplätze bei Handwerksmeistern, in Kleinbetrieben.

Wo beißen sich denn nun die Interessen von VW und die Steuerpläne der Bundes-SPD?

Bei der Frage der Ökologisierung des Steuersystems, bei der Besteuerung des Ressourcenverbrauchs, müssen wir auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie achten. Bei der Frage der Besteuerung von Pensionsrückstellungen muß darauf geachtet werden, daß Modelle wie die VW-4-Tage-Woche dadurch nicht zerschlagen werden. Bei der Besteuerung von Auslandsinvestitionen darf die Steuerpolitik nicht in die falsche Richtung gehen. Auslandsinvestitionen sind notwendig, um einen Kostenmix bei den Löhnen hinzubekommen. Nur so lassen sich hier hohe Löhne aufrechterhalten, ohne daß unsere Standorte kaputtgehen.

Mit alldem nähern Sie sich der Position der Bundesregierung weit an. Damit fällt der Bundesrat, die SPD-Mehrheit dort, als Instrument der Bonner Opposition aus.

Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan des Bundes, in dem die Länder ihre Interessen durchsetzen. Da gilt allemal: Erst das Land, dann die Partei. Ich hoffe, daß wir die Forderungen der SPD mit den Länderinteressen übereinbringen können. Daran will ich gern mitarbeiten. Aber wenn das nicht geht, haben die Länderinteressen Vorrang. Im übrigen haben auch andere SPD-regierte Bundesländer bereits Vorbehalte gegen die Vorschläge der Bundestagsfraktion erkennen lassen. Da interessiert mich in besonderem Maße das Abstimmungsverhalten der Koalitionsregierungen, und ganz besonders das von Rheinland-Pfalz. Schaun wir mal.

Den Beifall des linken SPD- Flügels wird Ihr Beitrag zur Steuerdebatte gewiß nicht finden.

Das ist nun auch nicht das Ziel von Landespolitik. Ich habe die Wirtschaftskraft des Landes zu stärken, die Bildungs-, die sozialen Verhältnisse zu verbessern. Um einen Ehrenplatz in der SPD auf Bundesebene geht es dabei nicht. Natürlich ist es mir wichtig, in der Bundes-SPD eine Rolle zu spielen. Es ist mir wichtig, von denen, auf die es ankommt, geschätzt zu werden: von der SPD-Basis. Aber die Landesinteressen gehen vor, ich bin in erster Linie Ministerpräsident und nicht Parteifunktionär.

Aber zumindest nominell noch Mitglied der SPD-Troika.

Auch danach habe ich mich nicht gedrängt. Ich bin gebeten worden.

Aber jetzt ist es vorbei mit der Troika?

Das würde ich so nicht sagen. Das ist eine Frage, die Sie dem Parteivorsitzenden stellen müssen.

Johannes Rau geht bald aufs Altenteil – möchten Sie angesichts Ihrer Popularitätswerte nicht zumindest Parteivize werden?

Ich hoffe nicht, daß Johannes Rau aufs Altenteil geht. Außerdem habe ich keinerlei Ehrgeiz, eine andere Position in der Parteiführung einzunehmen.

Ein verstärktes Engagement für die SPD auf Bundesebene ist für Sie nicht mehr drin?

Nein, ich habe überhaupt keine Gelüste, meine persönliche Situation in der SPD zu verändern. Ich bin da Mitglied des Vorstandes und des Präsidiums. Wenn es die Delegierten auf dem Parteitag im November wollen, will ich auch beides bleiben. Die Hauptbeschäftigung, die ich habe, betrifft dieses Land Niedersachsen.

Das mag ja hier in Ihrer Staatskanzlei bekannt sein ...

Das ist auch anderswo, auch in Bonn, bekannt.

Rudolf Scharping ist Ihnen gegenüber doch so dünnhäutig, weil er andere Ambitionen, etwa auf die Kanzlerkandidatur, fürchtet.

Da kann ich ihm ganz ehrlich versichern, daß er nichts zu befürchten hat.

Bis wann können Sie ihm das versichern?

Das gilt.

Mindestens bis zur nächsten Bundestagswahl?

Das gilt.

Wie lange denn nun?

Von mir aus gesehen, solange Herr Scharping will. Interview: Jürgen Voges

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