■ Die Gauck-Behörde hat ihren zweiten Bericht vorlegt
: Glücksfall der Geschichte

Eine der wichtigsten Botschaften des Berichts der Gauck-Behörde ist, daß die Ostdeutschen ein ungebrochenes Bedürfnis haben, ihre Akten zu sehen. Das wird die nicht überzeugen, die in der Behörde einen Störenfried gesellschaftlicher Harmonie sehen oder sie als moderne Inquisition betrachten. Es ist wahr: Die Akten zeigen nicht die ganze DDR-Wirklichkeit. Mit den Akten muß verantwortungsvoll umgegangen werden. Nicht jeder IM war ein Schuft, und nicht jeder, der keine Karteikarte hatte, war ein Saubermann.

Dennoch: Die Gauck-Behörde ist unerläßlich. Sie verdankt ihre Existenz einer breiten Übereinstimmung der Bevölkerung in der Wende, nachzuschauen, was mit Menschen gemacht wurde und wozu Menschen fähig waren. Und Politik sollte öffentlich verantwortet, statt geheim gesteuert zu werden.

Die Behörde ist ein Glücksfall in der deutschen Geschichte. Die Geschichtslügen nach dem Ersten Weltkrieg haben den Zweiten Weltkrieg mitverursacht und die Nazis hochgebracht. Die Alliierten und auch die SED hielten Akten des NS-Regimes im Rahmen der jeweiligen politischen Interessen zurück. Auch jetzt melden sich wieder solche Interessen, die die Einsicht in die Akten oder ihre Veröffentlichung verhindern möchten. Und es werden auch wieder Geschichtslegenden produziert. Dazu gehört die Behauptung, daß die Akten die Ostdeutschen und ihre Lebensläufe entwerten würden. Dem ist nicht so, denn diese Legende unterschlägt, daß nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung des Verrats und Versagens bezichtigt wird. Im Gegenteil: Die Akten weisen aus, daß die Mehrheit der Bevölkerung Grenzen der Zusammenarbeit mit den Organen kannte, auch wenn nicht alle deswegen schon Opposition betrieben haben.

Es ist eine Minderheit, die ihren politischen Einfluß durch die Akten bedroht fühlt. Der PDS-Abgeordnete Gerhard Zwerenz etwa hat jüngst jene, die den Stasi-Vorwurf erheben als „Hitlers Kinder“ bezeichnet. Eine Legende, die der vom „antifaschistischen Schutzwall“ würdig ist. Und dazu kündigt er an, daß alles für die „nächste Wende protokolliert“ würde. Da muß Zwerenz sich doch ärgern, daß das MfS in letzter Minute noch so viel von seinen Akten vernichtet hat. Nach der nächsten Wende wäre es einfacher gewesen, gleich weiterzumachen.

Wenn aber zukünftige schwarze Listen verhindert werden sollen, müssen die Akten der Vergangenheit gründlich studiert werden. Warum hat wer was und wozu getan, muß in der Demokratie um der Freiheit und der Menschenrechte willen immer, auch unabhängig von der Gauck-Behörde, gefragt werden. Ehrhart Neubert

Referent der Evangelischen Studien- und Begegnungsstätte Berlin