Jelzins Zuckerbrot schmeckt salzig

Drei russische „Macht-Minister“ wollen nach einer Mitteilung des Duma-Vorsitzenden Iwan Rybkin angeblich zurücktreten / Die Betroffenen sehen dies allerdings etwas anders  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Widersprüchliche Meldungen drangen gestern Nachmittag nach einer Sitzung des russischen Nationalen Sicherheitsrates an die Öffentlichkeit. Duma-Vorsitzender Iwan Rybkin, der dem Gremium qua Amt angehört, hatte in einer Tagungspause der Presse mitgeteilt, daß nicht nur drei sogenannte „Macht-Minister“ Präsident Boris Jelzin ihren Rücktritt angeboten hätten, sondern darüber hinaus eine ganze Reihe hoher Beamter. Außer Verteidigungsminister Pawel Gratschow, Innenminister Viktor Jerin und Nationalitäten- Minister Nikolai Jegorow – so Rybkin – hätten sich zu dem Schritt auch Geheimdienstchef Sergej Stepaschin bereit gezeigt, der provisorisch amtierende Generalstaatsanwalt Alexej Iljuschenko und der Sekretär des Sicherheitsrates selbst, Oleg Lobow.

Eine von Lobow geleitete Kommission sollte in den letzten Tagen die Umstände der Geiselnahme von Budjonnowsk klären. „Es war eine harte und peinliche Diskussion“, sagte Rybkin über die Sitzung des Sicherheitsrates. „Alle von mir erwähnten Redner waren sich des Ausmaßes ihrer Schuld bewußt und haben ihren Rücktritt angeboten.“ Ein erstes Dementi kam jedoch schon am frühen Nachmittag vom Pressedienst des föderalen Gegenspionagedienstes. Darin heißt es, der Chef des Dienstes, Stepaschin, sei bereit, die Verantwortung für das Geschehen in Budjonnowsk zu tragen und auf Wunsch Präsident Jelzins zurückzutreten. Dies bedeute nicht, daß er selbst seinen Rücktritt anbiete.

Jelzin hatte in der letzten Woche vor den Nasen der „Macht-Minister“ abwechselnd mit Zuckerbrot und Peitsche herumgefuchtelt. Er sprach von „traditionellen Fehlern“, die in Budjonnowsk begangen wurden, und äußerte sich in seiner gestrigen Begrüßungsansprache an den Sicherheitsrat noch schärfer: „Die Ereignisse in Budjonnowsk demonstrieren den Russen und der ganzen Welt den niedrigen Kompetenzgrad unserer Sicherheitsdienste für die Lösung solcher Aufgaben“, sagte Jelzin. „Wir müssen aus dieser Lektion strenge Schlüsse ziehen.“ Der Präsident ließ aber nicht erkennen, ob er bereit sei, den Wünschen des Parlamentes entsprechend, Gratschow, Jegorow und Jerin zu feuern. Noch Mitte der Woche hatte er trotzig verkündet, er werde seine Personalentscheidungen erst am 22. Juli bekanntgeben, am letzten Sitzungstag der Duma vor den Sommerferien. Den bereits auf den Koffern sitzenden Deputierten wäre dann jede Möglichkeit zu einer adäquaten Reaktion genommen. Iwan Rybkin verbreitete gestern allerdings die Hoffnung, Jelzin werde „über jedes einzelne Angebot“ schon vor dem 10. Juli ent scheiden.

Den Duma-Fraktionen, die gestern Nachmittag über ihre Stimmabgabe bei dem für Sonnabend angesetzten Mißtrauensvotum gegen die Regierung berieten, imponierten diese Nachrichten aber nicht mehr als der Ausgang des Hornberger Schießens. „Uns interessiert nicht, wer seinen Rücktritt angeboten hat, sondern wessen Rücktritt vom Präsidenten tatsächlich angenommen wird“, sagte der Vorsitzende der Fraktion Jabloko, Grigori Jawlinski. Und auch die meisten Beobachter sind sich einig, daß die vermeintlichen Rücktrittsangebote der Minister ausschließlich dazu dienen sollen, die Duma-Abgeordneten friedlich zu stimmen.