Gut ausgebildete Schwarze verzweifelt gesucht

■ In Südafrika bestimmt das Zauberwort „affirmative action“ die Wirtschaftspolitik

Sinnah Ramakhula ist hochqualifiziert, schwarz – und ganz nebenbei noch eine Frau. Im neuen Südafrika sind das die besten Karrierevoraussetzungen. Die Erziehungswissenschaftlerin ist Direktorin des nationalen Bildungstrusts bei National Sorghum Brewery, dem größten mehrheitlich in schwarzem Besitz befindlichen Konzern in Südafrika, der konsequent bislang Benachteiligte fördert. „Affirmative action“ ist derzeit das Zauberwort am Kap. Alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber sollen bei gleicher Qualifikation bevorzugt bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen einstellen oder fördern.

Daß das nicht zwangsläufig zum Niedergang eines Unternehmens führen muß, wie von vielen Weißen befürchtet, bewies National Sorghum im vergangenen Jahr: Das Unternehmen erhielt einen Preis für seine Affirmative-action- Politik und steigerte gleichzeitig seine Gewinne um 12 Prozent. Derzeit fördert National Sorghum 744 Studenten an Universitäten und technischen Hochschulen, finanziert mit einem Jahresetat von umgerechnet 12 Millionen Mark, den Ramakhula verwaltet.

Trotz ihrer persönlichen Erfolgsbilanz sind Frauen wie sie heute in Südafrika die große Ausnahme. Zwar sind 85 Prozent der Einwohner Südafrikas Schwarze, aber nach einer Studie der Universität Kapstadt sind nur knapp vier Prozent aller Managementposten mit Schwarzen besetzt.

Während die meisten großen Firmen sich dem neuen Trend angepaßt haben, kommen Affirmative-action-Programme im öffentlichen Dienst nur schleppend voran. Den 1,2 Millionen Staatsdienern im ohnehin aufgeblähten Verwaltungsapparat, der überwiegend mit Weißen besetzt ist, wurde im Zuge des Machtwechsels eine Beschäftigungsgarantie für fünf Jahre gewährt. Zwar wurden bei der Umstrukturierung von Ministerien neue Leitungspositionen mit Schwarzen besetzt, aber viele Stellen bleiben unbesetzt, weil es an qualifizierten Schwarzen mangelt. Hauptursache dafür ist die miserable Schulbildung, die die schwarze Bevölkerung zu Apartheid-Zeiten erhielt. Nach der ersten landesweiten Erhebung über den Bildungsstand in Südafrika sind 80 Prozent aller Schwarzen nicht in der Lage, Zeitung zu lesen. Und so ist es auch für viele private Firmen schwer, qualifizierte Schwarze zu finden. In der Praxis kommt es deshalb zu sehr unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs affirmative action. Der Minengigant Anglo American Corperation, der mit seinen Tochtergesellschaften fast die Hälfte der Wirtschaft kontrolliert, legt Wert darauf, bereits Ende der siebziger Jahre mit affirmative action begonnen zu haben. 1992 aber strich Anglo American das Wort aus seiner Unternehmensphilosophie und ersetzte es durch „employment equity“: Beschäftigungsgleichheit. „Wir haben uns verpflichtet, nicht-rassistische Strukturen einzuführen, so daß es die Fähigkeiten eines Individuums sind, die zählen, nicht ihre oder seine Rasse“, so eine Sprecherin.

Andere Unternehmen wie South African Breweries (SAB) gingen den umgekehrten Weg und nehmen heute eine Vorreiterrolle in Anspruch. Ein Motiv für die Anpassung bei dem größten Brauereikonzern des südlichen Afrika dürfte allerdings auch die Sorge um die schwarzen Kunden sein. Heute beschäftigt SAB in seiner Bierabteilung hauptsächlich Schwarze. Und in der staatlichen Transportgesellschaft Transnet, lange Zeit einer der wichtigsten Arbeitgeber für ungelernte Weiße, darf heute kein Weißer mehr eingestellt werden ohne die persönliche Zustimmung des Direktors.

In der Verfassungsgebenden Versammlung stimmen die Parteien überein, daß affirmative action in den Grundrechtekatalog aufgenommen werden soll. Nelson Mandelas Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) will eine Klausel gegen rassische und geschlechtliche Diskriminierung festschreiben, wogegen die Nationale Partei eine Begrenzung „bis zu dem Zeitpunkt, an dem wirkliche Gleichstellung erreicht ist“, fordert.

Kritiker bemängeln, daß affirmative action in der Praxis lediglich zu „Erbsenzählerei“ im Management führe, an den rassistischen Strukturen jedoch kaum etwas ändere. Darüber hinaus verschärfe sich im neuen Südafrika die Kluft zwischen Arm und Reich – jenseits von Hautfarbe. So sind die Einkommen der oberen zehn Prozent der Schwarzen in den letzten zwei Jahren rapide angestiegen, während die unteren 40 Prozent immer mehr verarmen. Und war früher die weiße Hautfarbe ein Garant für eine Stelle, beklagen heute viele Weiße umgekehrte Diskriminierung; auch für gut ausgebildete weiße Akademiker gibt es keine Jobgarantie mehr, wenn Stellen mit der „Black only“-Klausel ausgeschrieben sind. Die Verlierer sind ungelernte Weiße, die sich zu Apartheid-Zeiten keine Sorgen machen mußten. An den großen Einfallstraßen nach Johannesburg stehen heute weiße Bettler – noch vor Jahren ein unvorstellbares Bild. Kordula Doerfler, Johannesburg