„Sagen Sie einfach Frau Königin zu mir“

Wer jetzt über Land fährt, kann was erleben: Es ist Schützenfestzeit. Wie kommt das Krönchen auf den Kopf, der Reifrock ins Rheinland? Kurzum: Wie wird die Hausfrau zur Königin?  ■ Aus Büttgen Bascha Mika

Die Damen kommen daher wie aufwendig verpackte Pralinen, die Herren sind sauber geschoren, die Hunde und Hecken auch. „Gut Schuß!“ – „Hurra!“ Es ist Schützenfest. Mit kleinem Krönchen im braunen Haar hält die Königin Hof. Ihre Backen sind eifrig gerötet, die derben Hausfrauenhände fingern nervös am seidig wallenden Rock. Einmal im Leben wie Lady Di! Huldvoll lächeln, Honneurs empfangen, Grüße murmeln. Stolz bläht sich der Busen im engen Mieder. Renate Oehmann ist Bundesschützenkönigin.

„Du hast kaum noch Zeit zu putzen und zu waschen“, strahlt die Hausfrau aus der Eifel, „stehst im Mittelpunkt und kommst überall rum. Und im Verein“ – sie lacht ein bißchen verschämt – „im Verein sagen sie jetzt alle ,Frau Königin‘ zu mir.“

Wer jetzt über Land fährt, kann was erleben. Wenn die Erdbeeren reifen, beginnt die Saison. Dann wird der Bürgersteig pedikürt, jeder Grashalm onduliert, und das Hausschwein läßt sich Locken legen. Der dickste Bauer gibt seine größte Wiese fürs Festzelt her, und wenn der Spielmannszug mit militärischem Tsching und viel Rassabum durch die Straßen zieht, sitzt die Familie – Klappstühlchen hier, Fäßchen Bier da – traulich vereint mit Nachbars vorm Haus. Kein Dorf ohne Schützenfest. „Schießen“, sagt Königin Renate, „ist nicht nur Kinderkram. Denn jetzt weiß jeder: Mein Mann ist der Beste.“

Schützenvereine haben meist hunderte Jahre Tradition auf dem Buckel, die ersten Gesellschaften wurden bereits im 13. Jahrhundert gegründet. Damals neideten die wohlhabenden Bürger den Rittern das Privileg, sich im männlichen Kampfe die Lanze ins Gemächte stoßen zu dürfen. Sie erfanden ihr eigenes Turnier und schossen auf einen Holzvogel oder eine Scheibe. Das gefiel den Herren Adligen so gut, daß sie sich flugs am Spiel beteiligten: Zunächst Preise und Pfründe stifteten und dann die waffengeübten Schützen als Soldaten auf kriegerische Raubzüge schickten.

In Friedenszeiten, wenn die Hellebardiere und Musketiere nicht bei Türken oder Franzosen metzelten, übten sie Vereinsmeierei. Das ist geblieben – und des Schützen Lust, einmal den Vogel abzuschießen. „Gut Schuß!“ – „Hurra!“

Als Königin Renates Gatte, der Betriebsanlagenelektriker, ins Schwarze traf, brauchte sie erstmal drei neue Kleider. Modell Geschenkverpackung mit Schleifchen, Rüschchen und neckisch gepufftem Ärmel; 1.000 Mark das Stück. Dann die Einladungen, das Runden schmeißen ... „Das geht schon ins Geld“, sinniert die 34jährige Eifelerin, „kostet uns bestimmt 10.000 Mark. Aber mein Mann ist seit zehn Jahren im Verein, und mehr kann er nu nicht mehr werden.“

Als Bundeskönigin ist Renate Oehmann oberste Repräsentantin aller 1.300 Schützenvereine in Deutschland, die sich im „Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften“ zusammengeschlossen haben. Der Bund ist Dachverband und – neben der Vereinigung der Sportschützen – der größte Schützenverband der Republik. Jeder Verein kürt sein Königspaar, unter diesen wird der Bundeskönig ausgeschossen.

In der Regel feuern die Männer, ihre Frauen kommen als Ehegesponst mit auf den Thron. Und damit sie nicht meckern, gibt es zwei Höhepunkte im Schützenjahr: Im Herbst wird der Bundeskönig gekrönt, im folgenden Frühsommer ist Bundesköniginnen-Tag.

Büttgen – 7.000 Seelen zwischen Köln und Düsseldorf – wartet auf die diesjährigen Majestäten. Im Rathaussaal steht der Sekt, auf den Straßen das jubelbereite Volk. Ganz unauffällig sind die Damen bereits vor Stunden angereist, die Roben im Plastikbezug über dem Arm. Auftritt! Trompeten kreischen, Reifröcke schwingen, Dauerwellen liegen wie betoniert. Buntes Gewimmel am Rathausplatz. 300 Königinnen plus Hofstaat geben den BüttgenerInnen die Ehre. Festzug. Zwei Stunden ziehen Glanz und Gloria durch den Ort, flankiert von uniformierten Männern mit zackigem Schritt. „Gut Schuß!“ – „Hurra!“

Die Mieder kneifen, die Schleppen schleifen, die Damen ertragen es mit Grandezza. Auch Ihro Durchlaucht. Was muß sie denn so können als Königin? „Eigentlich nichts“, sagt Renate Oehmann, „nur immer beim Mann dabei sein.“

Der Bundesköniginnen-Tag, erklärt Wolfgang Leweke, Bundesgeschäftsführer der Historischen Bruderschaften, „ist ein Tag, an dem die Rolle der Frauen in den Bruderschaften eine besondere Würdigung erfahren soll.“ Was bedeutet: die Frauen halten den Mund und die Männer die Reden. Nur eine Frau darf auf diesem Fest auch mal was sagen. Ilga Thywissen ist Schirmherrin des Bundesköniginnen-Tages und Gründerin des Vereins „Lebensschutz“ in Neuss. „Die Schützenvereine widmeten sich schon immer denSchwachen“, säuselt Geschäftsführer Leweke, „deshalb auch dem Schutz des ungeborenen Lebens.“

Die Bruderschaften sind traditionell katholisch geprägte Männerbünde; ihr altertümelnd-reaktionärer Wahlspruch: „Glaube, Sitte, Heimat.“ Ihre Verbandszeitung: „Der Schützenbruder.“ Niemand wird König, wer nur standesamtlich getraut ist und schon gar nicht, wer in wilder Ehe lebt. Inzwischen, versichert Leweke, stünden die Bruderschaften auch Evangelen offen. Und wie wäre es mit einem türkischen Schützenkönig? Der Bundesgeschäftsführers in seiner betreßten Theateruniform zuckt erschrocken zurück.

Dann schon eher Frauen. Stolz weist Leweke auf das Gefolge von Herrscherin Renate. Sieht man da nicht die schwere Silberkette – Statussymbol der SchützenkönigInnen – auch an zartem Halse statt auf breiter Brust?

In manchen Vereinen können Frauen aktive Mitglieder werden und selbst zum Königsschuß antreten; seit zehn Jahren sind sie zum Wettbewerb zugelassen. Doch längst nicht in allen Bruderschaften. „Selbst in den Mitgliedsbruderschaften, die sich noch als ,reine Männergruppen‘ präsentieren“, beschwichtigt Leweke, „haben die Frauen der Mitglieder einen nicht zu unterschätzenden Einfluß.“

Schießbegierige Frauen wollen mehr. „Ich will es einfach den Männern gleich tun“, sagt Jutta Schmitt-Lenfeld, eine große blonde Königin aus Kaisersesch. Sie brauchte keinen Mann, um auf den Thron zu kommen, sie hat den Vogel selbst abgeschossen. Wie ihre Freundin Monika Schopp. Die beiden schießen alle Disziplinen: Luftgewehr, Klein- und Großkaliber, Sportpistole, Perkussionsgewehr. Und wie sie so dastehen, mit strammen Schultern und kräftigen Händen, haut sie bestimmt kein Rückstoß um. Bei der vorjährigen Schießerei um die BundeskönigInnenwürde waren elf Frauen unter den 132 KandidatInnen.

„Mich reizt das Vereinsleben“, erzählt Schmitt-Lenfeld. Doch sie stört, daß es in den Bruderschaften so „altmodisch zugeht, das find ich nicht gut“. Schießen sei keine Ideologie, verkündet die Mittvierzigerin, sondern „Wettkampf, Sport und Spiel“. Und außerdem, erklären die beiden mit unverblümtem Stolz, „sind Frauen ehrgeiziger und haben die besseren Nerven. Deshalb schießen sie einfach besser.“

Das haben Königin Renate und ihr Gemahl zum Glück nicht gehört. „Gut Schuß!“ – „Hurra!“