Der Mann von der Straße ist gefragt

Im Bürgergremium entscheiden Laien über das Pro und Kontra zur Gentechnologie  ■ Von Andreas Sentker

„Es ist erstaunlich“, stellt Detlef Garbe fest. „Die Leute opfern zum Teil sogar ihren Jahresurlaub, um dabeizusein.“ Garbe ist Direktor der Abteilung Diskurs und Öffentlichkeitsarbeit an der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Die Akademie sorgt nun für eine Premiere in der deutschen Gentechnik-Debatte. An drei Orten im schwäbischen Musterland sollen die Bürger entscheiden, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel wollen, transgene Pflanzen auf dem Acker befürworten oder die Risiken von Freisetzungsversuchen für verantwortbar halten. „Bürgerforum Biotechnologie und Gentechnik“ heißt das Verfahren. Ziel des „gesellschaftlichen Diskurses“ ist ein „Bürgergutachten“, in dem die Beteiligten den Wissenschaftlern und Politikern die Meinung des Volkes nahebringen dürfen.

Der Bürgerbeteiligung vorausgegangen waren zwei Arbeitsphasen, in denen zunächst Experten zu Wort kamen. „Eine Chance für neue Industrien?“ sollte der Untertitel der fachlichen Beurteilung lauten. „Das wichtigste Ergebnis zuerst“, verkündete Hans Mohr, der Leiter der Stuttgarter Einrichtung, bei der Vorstellung der Publikation im Januar dieses Jahres: „Wir haben das Fragezeichen streichen können.“ Das Ergebnis der Studie ist umstritten. Nicht Technikfolgenabschätzung, sondern vielmehr Akzeptanzbeschaffung habe sich die Akademie auf ihre Fahne geschrieben, bemängeln manche Kritiker.

Während dem ökonomischen Potential der Gentechnik sehr viel Platz eingeräumt wurde, kamen ökologische und evolutionsbiologische Fragen zu kurz. Die Natur wird als gentechnisch reparaturbedürftig betrachtet, mögliche nachteilige Auswirkungen der Technik bleiben unbeachtet. „Wir wollten zunächst herausfinden, ob sich die Technik überhaupt wirtschaftlich lohnt, bevor wir beginnen, ihre Risiken zu diskutieren“, begründet Detlef Garbe das Vorgehen. „Wir wissen sehr wohl, daß wir uns damit angreifbar machen.“ Das Expertendilemma widersprüchlicher wissenschaftlicher Positionen war erwartungsgemäß auch in Stuttgart nicht gelöst worden. So sollen nach den Wissenschaftlern jetzt die Laien entscheiden.

Vor einem Schöffengericht zufällig ausgewählter Bürger werden Pro und Kontra erörtert. Vier Tage lang werden sich die Teilnehmer Hintergrundinformationen, Expertenmeinungen und Referate anhören müssen. Dann erst sind sie selbst aufgefordert, ihre Meinung schriftlich niederzulegen. Mit diesen Bürgergutachten hat Garbe bereits gute Erfahrungen gesammelt. „Wir haben das Verfahren in den siebziger Jahren im kommunalen Planungsbereich entwickelt“, streitet er mögliche Vorbilder in Großbritannien, den Niederlanden und Dänemark ab. Die dortigen „Konsensusgespräche“ zur Biotechnologie seien nicht die ersten gewesen: „Da waren wir viel früher dran.“

Anfang der achtziger Jahre wurde das Bürgergutachten schließlich vom kommunalen Entscheidungsgremium zum Instrument der Technikfolgenabschätzung. Vom Städtebau bis zur Energiepolitik und Informationstechnik: Bürger kamen zu Wort. Für die aktuellen Veranstaltungen in Mannheim, Weingarten und Ulm wurden jeweils 1.000 zufällig ausgewählte Kandidaten angeschrieben.

Die Resonanz war unerwartet groß. In Mannheim tagten vorletzte Woche zwei Foren parallel, in Weingarten und Ulm werden es sogar drei Gruppen sein. „Wir dachten, das Thema sei nicht im Nahbereich der Betroffenheit angesiedelt“, erklärte Garbe seine Überraschung. Jeweils 30 Teilnehmer pro Gruppe sollen an vier Tagen ihre eigene Meinung bilden können und so die Entscheidungsträger in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bei ihrer Bewertung unterstützen. Die Auswahl der Beteiligten hält Garbe für gelungen: „Vom Prokuristen bis zum Arbeitslosen, vom Studenten bis zur Hausfrau, wir haben Alltagserfahrung und Berufskompetenz versammelt.“

Das Engagement der Teilnehmer ist erstaunlich groß. „Das Publikum war ungeheuer bei der Sache“, stellt Elisabeth Bücking fest, die beim Mannheimer Forum das Öko-Institut Freiburg vertrat. Die Freiburger werten das Unternehmen „als Versuch, in einem demokratischen Gemeinwesen einen Weg zu finden, mit kontroversen technologiepolitischen Fragen umzugehen und die Betroffenen in die Debatte mit einzubeziehen“.

„Die Tatsache, daß so etwas mal in Angriff genommen wird, ist sehr positiv zu werten“, erklärt Elisabeth Bücking. Mit der Struktur der Tagung aber ist sie nicht zufrieden. „Zu viel Stoff in zu kurzer Zeit“, erläutert sie das zentrale Problem. „Es wurde einfach sehr viel vorausgesetzt.“ So habe es zuwenig Raum gegeben, die „Belastbarkeit von Argumenten“ in der direkten Auseinandersetzung mit anderen Positionen zu erproben.

Detlef Garbe ist da ganz anderer Ansicht. „Das Programm ist seit zwei bis drei Monaten bekannt, den Pro- und Kontra-Positionen ist gleich viel Zeit eingeräumt worden“, betont er die Fairneß des Verfahrens. „Wir sind auch gar nicht daran interessiert, miteinander streiten zu lassen, das geht meist völlig an den Zuhörern vorbei.“ Was die Mannheimer Beteiligten nun tatsächlich verstanden haben, zu welchem Urteil die beiden Foren kamen, das will Garbe frühestens Mitte Juli nach Abschluß der letzten Veranstaltung in Ulm sagen. „Wir brauchen Zeit für die Auswertung, darum haben wir die Mannheimer erst einmal beiseite gelegt.“

In Dänemark waren die Bürgergremien vom Parlament eingerichtet worden, die Ergebnisse wurden in die Gesetzgebung mit einbezogen. Ob die Politiker und Wirtschaftsexperten nun auch in Deutschland Volkes Stimme ernst nehmen werden? Elisabeth Bücking zögert: „Das hängt wohl sehr vom Ergebnis ab.“