Roßkur für den Alten Fritz

■ Das Reiterdenkmal Friedrichs des Großen Unter den Linden wird generalüberholt / Der Zahn der Zeit, die saure Luft und Kulturbanausen machen dem Preußenkönig zu schaffen

Der Alte Fritz leidet an Masern. Sein Gefolge hat es gleich mit erwischt. Über und über sind Rösser, Reiter und Fußlatscher auf dem Sockel Unter den Linden mit kleinen weißen Pusteln bedeckt. Doch die Ärzte beunruhigt das nicht – im Gegenteil: Der Ausschlag geht auf ihre Kosten und soll helfen, den Gesamtzustand des Alten zu diagnostizieren. Denn um den König steht es bedrohlich.

In etwa zwei Wochen sollen die Voruntersuchungen abgeschlossen sein, so Oberarzt und Amtsrestaurator Heinrich Schlotmann. Doch die eigentliche Roß-und- Reiter-Kur soll erst Ende des Jahres beginnen. Der König wird dann mitsamt Gefolge für zwei Jahre restauriert. Eine Million Mark sollen die Untertanen von den Bundesstiftungen für Umwelt- und Denkmalschutz dafür berappen.

Mehrere Monate wird der Herrscher nebst seinen Hofleuten nun schon von Spezialkameras abgelichtet, die weißen Punkte dienen dabei als Orientierungshilfe. Nunmehr ist der ganze Hofstaat im Computer gespeichert. „Wir haben erstmals die Gesamtansicht des Denkmals festgehalten und somit eine wichtige Vorarbeit für zukünftige Restaurationsarbeiten geleistet“, freut sich Schlotmann. Während er und seine Kollegen nur noch vermuten können, wie das Reiterstandbild des Bildhauers Christian Daniel Rauch bei seiner Einweihung im Jahre 1851 aussah, werden seine Nachfolger den derzeitigen Zustand auf dem Computerschirm dokumentiert finden.

Der bronzene Friedrich hat schon einiges durchgemacht: Mit schweren Verwundungen nur überlebte er 1919 den Spartakusaufstand. Zwar wurde er mit größter Sorgfalt wiederzusammengeflickt, doch die Einschußlöcher von damals beginnen heute wieder zu schmerzen. Schlotmann: „Die Bronzelegierung, die für die Flickstellen verwandt wurde, ist verschieden von der ursprünglichen Legierung der Plastik.“ Der Große Friedrich blieb von weiteren schweren Verletzungen nicht verschont. Hatte er während des Zweiten Weltkrieges noch Glück und überlebte eingemauert das Bombardement, so sollte es ihm alsbald an den Kragen gehen. „Der Schutt muß weg!“ rief die SED und wollte den Bronzekönig einschmelzen. Die neuen Herren verbannten den Alten 1950 dann doch nur nach Potsdam in den Park von Sanssouci. 30 Jahre später, im Rahmen des allgemeinen Preußen-Revivals, besann man sich dann auf die Verdienste des Regenten. Der aufgeklärte Absolutist durfte samt Pferd zurück Unter die Linden.

Der Umzug aber hat seine Spuren tief in Mensch und Tier eingegraben. Das eiserne Skelett wurde zwar durch ein neues stählernes ersetzt, dieses aber hat mittlerweile auch schon mehr als einen Knacks weg. Der Schwanz von Friedrichs Roß ist gleich mehrfach gebrochen, das Tier steht im ganzen auf unsicherem Huf. Trotzdem schwangen sich während der großen Kundgebung gegen Ausländerfeindlichkeit vor zweieinhalb Jahren hinter Friedrichs Rücken andere Reiter in den Sattel und entwendeten dem König gewaltsam Spazierstock und Steigbügel.

Doch viel mehr als solche Kulturbanausen macht Friedrich die schlechte Luft zu schaffen. Stick- und Schwefeloxide nagen von Jahr zu Jahr gefräßiger an der Substanz. Der Rost hat sich im Laufe der Jahre regelrecht in des Königs Hermelinmantel, der von einer dicken Rußschicht bedeckt ist, eingefressen und bedroht nun den Leib Seiner Durchlaucht. Eine durchsichtige Wachsschicht, die der Alte künftig (er)tragen muß, soll ihn vor der sauren Luft schützen. – Erst einmal aber muß sich der Alte Fritz noch durchleuchten lassen. Ähnlich wie bei einer Magenspiegelung wird dann mit einer an einem beweglichen Schlauch befestigten Miniaturkamera das Innere des Alten auf der Suche nach weiteren vermuteten Krankheitsherden durchsucht. Den Schlauch muß Friedrich jedoch nicht wie ein Normalsterblicher über Mund und Speiseröhre schlucken – er wird ihm durch eines der Einschußlöcher von 1919 eingeführt. Holger Heimann