Fleisch in der Pfanne oder Aerobic-Kurse

■ In Rußland können sich die meisten eine sportliche Betätigung nicht mehr leisten / Zwei Angestellte eines Moskauer Sportzentrums berichten über die Motivation ihrer Klientel

Noch unlängst erschien mir meine Sporthalle wie eine Insel sozialer Gesundheit. Die Preise waren lächerlich im Vergleich zu denen der eleganten, technisch hochgerüsteten westlichen Sportstudios, die in Moskau aus dem Boden schießen. 90.000 Rubel (ca. 30 Mark) kostet es hier zur Zeit im Monat, zweimal wöchentlich unter Anleitung einer Trainerin im Aerobic-Kurs herumzuhüpfen, und anschließend darf man oder frau auch noch in das saubere Schwimmbecken. Die Frauen aus meiner Aerobic-Gruppe – Angestellte, Hausfrauen und auch einige Mütter – erschienen mir erfrischend normal. Also eine Einrichtung für alle? Ein Gespräch mit Schwimmtrainerin Galina und Kassiererin Lena belehrte mich eines Schlechteren.

taz: Galina, Sie haben 30 Jahre Berufserfahrung. Geht es Ihrer Meinung nach in Rußland mit dem Freizeitsport aufwärts?

Galina: Alles hängt bei uns von den Gehältern ab. Wenn wir Geld hätten, dann gäbe es bei uns auch Sport. Aber da das Volk jetzt bei uns auf den Bettelstab gekommen ist, können die Leute die Eintrittspreise nicht mehr bezahlen. Ich zum Beispiel beschäftige mich diesen Sommer nur noch damit, kleinen Kindern das Schwimmen beizubringen. Das Geld dafür hat uns die Kreispräfektur zugeteilt, weil es ja heute nicht mehr die Pionierlager gibt, in denen sich die Kinder früher im Sommer austoben konnten. Den Kleinen kann man ansehen, daß es bei uns in der Bevölkerung an Bildung fehlt. Nur wenige Eltern wissen, daß so ein Kindchen schon vom Wickelstadium an seine Muskulatur ein wenig belasten sollte. Zu uns kommen sie dann mit Ärmchen wie Streichhölzer und krummem Rücken. Und weil sie in der Regel schlecht ernährt werden, stimmt es bei vielen auch im Kopf nicht ganz. Die notwendige Aufklärung sollte Sache des Staates sein, aber der ist heute bei uns mit Kriegführen beschäftigt. Wenn wir den Krieg nicht hätten, dann würden sich mit der Zeit auch alle anderen Probleme lösen. Bevor wir über Sport reden, müssen wir zuerst über Politik reden.

Lena: Ich glaube überhaupt, daß es in einer Gesellschaft, in der kein Recht und kein Gesetz gilt, auch keinen Sport mehr geben kann. Ich denke dabei vor allem an den sozialen Bereich. Nehmen wir mal Eltern kleiner Kinder, die nicht wissen, wer von ihnen morgen arbeitslos sein wird, die nur wissen, daß sie die staatliche Unterstützung in diesem Falle nahezu vergessen können. Leute, die zum alten Eisen geworfen werden, wenn sie sich einen Unfall leisten. Wie können die sich für Sport interessieren? Die Menschen sehen, daß alles von heute auf morgen teurer wird. Ich verdiene jetzt umgerechnet 70 Dollar im Monat. Davon bezahle ich 20 für meine Wohnung und zehn für Verkehrsmittel. Ein Kilo Rindfleisch kostet drei Dollar. Ich kann mir Fleisch nur ausnahmsweise leisten. Wenn ich hier nicht als Angestellte die Möglichkeit zum Schwimmen hätte, würde ich mir doch sehr überlegen, ob ich für zwei Dollar schwimme oder mir lieber Fleisch kaufe. Früher war das anders.

taz: Sie sagen, daß nur noch wenige Leute herkommen. Aber bei Aerobic ist das doch anders?

Galina: Aerobic, das ist etwas für die Jungen und Zahlungskräftigen. Das sind die beiden einzigen Abende in der Woche, zu denen je etwa 50 Leute kommen. Zu uns kommen junge Frauen mit relativ guten Stellen in der Privatwirtschaft, meist ohne Kinder, die unsere Gebühren gerade noch aufbringen können. Sie begreifen: Wenn du nicht die richtige Figur hast, wenn überflüssiges Fett an dir herumhängt, wenn der Gang nicht stimmt und dein Selbstbewußtsein wackelt, dann wirst du dich niemals durchboxen können. Das Gespräch führte

Barbara Kerneck, Moskau