Fieber, Metaphern etc.
: Die Hüllen fielen Tag für Tag

■ Die Berliner Zeitungen in Christo (und J.-C. natürlich!) – Resümee einer verschwitzt bis mürrischen Berichterstattung

Das Christo-Fieber ist vorbei. In den Berliner Redaktionen können nun die Wadenwickel abgenommen, die Schweißtücher gewechselt werden. Zeit für eine erste Bilanz. Schon heute steht fest: Die Berichterstattung in Christo war eine Heldentat.

Einen Lorbeer in der Disziplin „lückenloses Erfassen von Kulturgroßereignissen“ verdient das Pflichtblatt der Berliner Wertpapierbörse, der Tagesspiegel. Schon früh brachte eine Sonderbeilage die Dampfwalze der Reportagen und Berichte in Gang. Der erste Höhepunkt der Fieberkurve: Das obligatorische Interview („Wann verhüllen Sie den Mond, Herr Christo?“) begleitete ein bandwurmlanger Einspalter. Rita Süssmuth umschrieb darin treffend jenes Gefühl, das später Millionen und Abermillionen ergreifen sollte: „Vierzehn Tage lang wird der umhüllte Reichstag – dieses steinerne parlamentarische Symbol – Analogien zur Demokratie erfahrbar machen.“

Eigentlicher und origineller Zweck der Sonderbeilage war es jedoch, den „Reprint einer Original-Zeichnung in Originalgröße“ unter's Volk zu bringen, der einige Tage später ab morgens fünf Uhr zur Originalsignierung freigegeben wurde.

15.000 FrühaufsteherInnen ließen sich diese Gelegenheit nicht entgehen und besorgten sich einen echt unterschriebenen Christo für die Wohnzimmerwand. Das war der heftigste Fieberanfall in diesen 14 Tagen, ein Schüttelfrost, und wahrscheinlich der gemeinste Mißbrauch einer Künstlerhand seit Menschengedenken.

Die Kolumne „Enthüllungen rund um den Reichstag“ machte fortan täglich die Begleiterscheinungen der Aktion publik: zum Beispiel das Aufstellen „funkelnagelneuer Müllcontainer“ oder die Bemühungen des „Monitors“ Sascha Kristuf, sein Schirmmützchen zu verschönern. Als es dann endlich soweit war, hatten Helfer und Helfershelfer, Monteure, Fassadenkletterer und „Monitore“ bereits ihre Würdigung in mehrspaltigen Reportagen abbekommen. LeserInnen wußten nun: So eine Verhüllung ist kein Kinderspiel.

Jetzt kam die Zeit der Reichstagsprosa, das Wortringen und Metaphernschmieden begann: „Er (der Reichstag) hockt da wie ein gigantisches Raumschiff, so fremd und so nah, die Leute stehen und staunen, und keiner möchte so recht glauben, was er da sieht.“ Hilfe naht, denn auch der letzte Ungläubige wird sich von der jüngsten aufklärerischen Großleistung des Tagesspiegel bekehren lassen: Mit einem flächendeckenden Artikel versuchte der Direktor der Alten Nationalgalerie die Bedeutung des Kunstwerks („Was aber ist da, wenn es da ist?“) bis in die letzten Tiefen der Zeitungsspalten hinein auszuloten, Ausführungen über die ästhetischen Implikationen des Faltenwurfs selbstverständlich inbegriffen.

Vom Christo-Fieber ganz und gar gezeichnet war auch die BZ. Auf ihren Bilderseiten fielen die Hüllen unaufhaltsam Tag für Tag. Peggy aus Prenzlauer Berg enthüllte sich vor dem Reichstag, und Anja aus Reinickendorf war so „hingerissen“, daß sie nur noch einen Wunsch hatte – das „schön kühle“ Gewebe zu küssen. Peggy und Anja – zwei Auserwählte aus jener fröhlichen und freudigen, sich vor Christo verneigenden, jubelnden Menschenmenge, die dem „Meister“ huldigte und deren Taumel jeden Tag aufs Neue mit Fotos und in Stakkato-Sätzen beschrieben wurde. „Danke, Christo!“ für ein Weltkunstwerk, das nur durch ein Gewitter zu bremsen war, und dessen erotische Vorzüge außer Zweifel stand: „Komm, wir gehen Christo streicheln.“

Die prüde Tante der BZ, die Berliner Morgenpost, hielt sich dezent zurück. Ein paar Bilder in Farbe, eine Reportage über das „Woodstock“ im Tiergarten, ein großes Interview zum Schluß – viel mehr hatte man nicht übrig für die beiden „Königskinder“ Christo und Jeanne-Claude.

Höchst exklusiv berichtete indes die Berliner Zeitung, die jeden Tag das Tagebuch des Künstlerpaares abdrucken durfte. So erfuhren wir, daß spätestens seit dem 25. Juni die beiden „sehr glücklich“ gewesen sind. Ansonsten wurde das „Ramba Zamba nonstop“ wohlwollend, jedoch mit eindeutiger Betonung der pragmatischen Aspekte beobachtet.

Die Äußerung des leitenden Ingenieurs, Tino Zaumseil, prägte den Stil: „Wir arbeiten weiter nach Plan und verhüllen die Türme.“ Und selbst ein Christo- Kritiker kam zu Wort. Martin von Ostrowski, Aktionskünstler, diffamierte das „Wickelobjekt“ und behauptete: „Dies ist kein Kunstwerk.“

Gänzlich immun gegenüber dem Christo-Fieber blieb allein das Neue Deutschland. Mürrisch vermeldete es am Tag X: „Berliner Kunstspektakel soll noch bis zum 7. Juli dauern.“ Und dabei irrten sich die Miesepeter noch um einen Tag. Stephan Schurr