Parade 95

Einmal werden wir noch wach ... dann wird eh nicht mehr geschlafen. 150.000 TeilnehmerInnen werden beim größten Rave-Umzug der Republik erwartet, das morgen, 16 Uhr, am Berliner Wittenbergplatz seinen Ausgang nehmen wird – sattelschlepperweise „Peace On Earth“, wie im Jahre 6 nach der Gründung das Motto lautet. Daß die Parade überhaupt stattfindet, ist erst seit dem 6. Juni, 15.12 Uhr amtlich. Zu just diesem Zeitpunkt verkündete Innenstaatssekretär Böse: „Es wird eine Demonstration.“ Vorausgegangen waren Querelen mit Berlins Innensenator Heckelmann, der dem Move über den Ku'damm den Charakter einer politischen Demonstration aberkennen wollte. An dem hängt nämlich auch die Frage der Müllbeseitigung – und der damit verbundenen Kosten. Das Müllproblem ist beigelegt, nachdem eine private Aufräumfirma in die Bresche sprang, die Veranstalter ein „Konzept für die Sicherheit, Müllvermeidung und -entsorgung“ vorgelegt hatten, vor allem aber Heckelmann vom Regierenden BM Diepgen zurückgepfiffen wurde, der – in diesem Punkt durchaus hellsichtig – einen nicht wiedergutzumachenden Imageschaden für die „Weltstadt mit Herz“ befürchtete. Was bleibt, ist die Frage, ob Techno heute durch Love Parades oder Maydays repräsentiert wird oder längst anderswo ist – und ein wachsender Unwille auch innerhalb der Szene, zu Hunderttausenden in die von Jürgen Laarmann, Chefredakteur des Magazins Frontpage ausgerufene ravende Society zu taumeln. Nicht zu einem Gespräch bereit war DJ Westbam, Mitinhaber der Produktionsfirma „Low Spirit“, wohl aber Patrick Walder, Techno- Aktivist und Redakteur der Züricher WoZ. Walder, 28, hat (nach einem Buch über die „Techno-Droge“ Ecstasy) zusammen mit Philipp Anz die schlicht „Techno“ betitelte erste Textsammlung zum Phänomen herausgegeben und sieht sich selbst als teilnehmenden, aber nicht distanzlosen Beobachter von der Peripherie. Von den Rändern aus über die vermeintliche Mitte reden: Da war natürlich Schweizer Diplomatie gefragt ... tg