: Waffenschieber in Europa: Keine Regel ohne Ausnahme
Die EU-Kommission wollte den Export von Gütern regeln, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können. Doch in der Verordnung, die am 1. Juli in Kraft getreten ist, haben sich vor allem die Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten und der Rüstungsexporteure durchgesetzt ■ Von Harald Bauer
Waffenexporte sind Teil der nationalen Außenpolitik. Der Artikel 223 der Römischen Verträge zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 stellt die Herstellung und den Export von Rüstungsgütern deswegen ausdrücklich unter einen Vorbehalt der Mitgliedsstaaten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch nur ein Teil der nationalen Rüstungsexporte besteht aus Waffen. Mindestens ebenso bedeutend ist der Handel mit sogenannten Dual-use-Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können. Dafür hat sich die Europäische Union ein umfangreiches technisches und bürokratisches Regelwerk ausgedacht.
Am 1. Juli ist die Verordnung der Europäischen Union „über die Kontrolle bei der Ausfuhr bestimmter Güter mit doppeltem Verwendungszweck“ in Kraft getreten. Von einem Erfolg mag niemand sprechen. Die britische regierungsunabhängige Organisation „Saferworld“ kritisiert unwidersprochen, daß die neue Verordnung auf vielen Wegen umgangen werden kann. Tatsächlich wird die nationale Exportpolitik nicht harmonisiert, nicht einmal gemeinsame Kriterien sind verbindlich festgelegt worden.
Verspätet ist das Regelwerk zudem. Es hätte schon zum 1. Januar 1993 vorliegen müssen. Zu diesem Datum wurde der Binnenmarkt verwirklicht, und die Beschränkungen für den Warenverkehr innerhalb der Union fielen weg. Bereits Anfang 1992 hatte die Brüsseler Kommission deshalb auf die Notwendigkeit einer Regelung hingewiesen und im August 1993 einen ersten Entwurf präsentiert.
Doch die Verhandlungen zogen sich hin, Frist um Frist verstrich, bis im Juli 1994 Vollzug gemeldet wurde. Die weitere Verzögerung um ein ganzes Jahr wird offiziell mit Übersetzungsproblemen begründet. Aber es ging wohl um mehr um den Inhalt.
In den Verhandlungen standen sich die „Nationalen“ und die „Vergemeinschafter“ gegenüber. Die einen, an ihrer Spitze Frankreich und Großbritannien, wollten sowenig gemeinsame Regelungen der Exportpolitik wie möglich. Der Artikel 223 sollte unverändert weitergelten, wie es denn auch im Maastricht-Vertrag durchgesetzt wurde. Entscheidend für die Gruppe der Nationalen ist die in diesem Artikel enthaltene Liste mit der Definition der Rüstungsgüter. In der Theorie wäre die EU- Kommission lediglich zuständig für all die Waren, die dort nicht genannt, aber trotzdem militärisch relevant sind. Die Kommission, als Speerspitze der „Vergemeinschafter“, hatte ursprünglich den Artikel 223 schlicht streichen wollen. Ihre Strategie bestand darin, alle möglichen Rüstungsgüter zu doppelt verwendbarer Dual-use-Ware zu erklären. Die „Nationalen“ antworteten darauf mit Versuchen, die Liste des Artikels 223 noch zu erweitern. Sie sollte jetzt möglichst auf den Umfang der Cocom-Listen aus den Zeiten des Kalten Kriegs gebracht werden. Auch bestimmte elektronische Bauteile, um nur ein Beispiel zu nennen, wären damit von allen Regelungen der EU ausgenommen gewesen.
Zwei nur schwer miteinander zu vereinbarende Ziele hatte die deutsche Bundesregierung in den diesen Verhandlungen verfolgt: Zusammen mit der Kommission war sie einerseits daran interessiert, den reibungslosen Verkehr der Güter innerhalb der Union zu sichern. Kontrollen sollten nur noch an den Außengrenzen der Union stattfinden, nationale Ausnahmeregelungen sollten entfallen. Andererseits wurden die Deutschen nicht müde zu betonen, sie wollten eine Regelung auf möglichst hohem, das heißt deutschem Niveau. Gebetsmühlenhaft wurde wiederholt, die deutschen Exportkontrollen seien die striktesten der Welt. Das Bemühen um eine Lösung ist der Bundesregierung dabei nicht abzusprechen. Allerdings war der Erfolg begrenzt. Denn auch die deutsche Industrie setzte auf Harmonisierung, um so eine Aufweichung heimischer Regelungen zu bewirken – durchaus mit Erfolg.
Regeln, die im Ernstfall niemanden verpflichten
Das Ergebnis dieser Diplomatie ist ein juristischer Zwitter. Denn grundsätzlich stützt die Verordnung sich auf das EG-Recht. Nur die entscheidenden Listen der Güter wie auch der Länder, in die sie ausgeführt werden dürfen, haben einen besonderen Status. Sie gelten als „Gemeinsame Aktion“ gemäß der Maastricht-Verträge für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Das bedeutet, daß sie nur in schwerfälligen Prozeduren abgeändert werden können.
Der deutsche Verhandlungsleiter Hahn, vom Wirtschaftsministerium, stellt freimütig fest, daß eine gemeinsame Exportpolitik der EU nicht zu erkennen sei. In einem Papier des Wirtschaftsministeriums wird die Dual-use-Verordnung folgendermaßen beurteilt: „Es war nicht möglich, bei den unterschiedlichsten Exportkontroll-Politiken der 12 Mitgliedsstaaten insbesondere im konventionellen Rüstungsbereich bereits mit der EG- Verordnung eine umfassende Harmonisierung der Ausfuhrkontroll- Vorschriften für Dual-Use-Güter zu erreichen. Die vorgesehene Verordnung stellt einen wichtigen ersten Schritt zu einem einheitlichen europäischen Kontrollsystem dar, das letztlich nationale Regelungen überflüssig machen und die Voraussetzungen für einen vollständig liberalisierten Binnenmarktverkehr auch für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck schaffen soll.“
Ein frommer Wunsch. Zwar hatte der Europäische Rat einmal sieben Kriterien für den Export von Rüstungsgütern identifziert, die von allen Mitgliedsstaaten beachtet werden. Der Entwurf der Kommission hatte noch vorgesehen, diese Kriterien für verbindlich zu erklären. Auch dieser Versuch ist gescheitert. Die Kriterien, die jetzt festgeschrieben sind, binden niemanden, weder für den Rüstungsexport im allgemeinen noch für die Dual-use-Verordnung. Sie sind in den Anhang der Verordnung gerutscht. Im Bereich der konventionellen Rüstungsexporte verhandeln die Außenministerien in einer „High Level Group“ seit 1992, ohne daß es zu einer Übereinkunft gekommen wäre.
Waffenhändler haben daher wenig zu befürchten. Die neue Verordnung ist kaum geeignet, der Gefahr des sogenannten Licence- shopping zu begegnen. Die Methode führt fast immer zum Erfolg: Ein Händler stellt seinen Antrag auf eine Exportgenehmigung in dem Land, in dem er seinen Geschäftssitz hat. Befindet sich die Ware in einem anderen Staat, müßten zwar auch noch dessen Behörden befragt werden. Wenn diese innerhalb von zehn Arbeitstagen aber nicht reagieren, wird dies als Zustimmung gewertet. Wer ein nationales Kontrollsystem umgehen will, sucht sich deshalb eine Firma in einem Land, das weniger streng erscheint und stellt dort den Antrag. Die Chancen auf einen erfolgreichen Export steigen, zumal bei der Arbeitsüberlastung der Ausfuhrbehörden, die innerhalb kurzer Zeit reagieren müssen. Zudem gibt es an den internen Grenzen der EU keine Kontrollen mehr. Wie auch die brave FAZ meint, gehöre es nun mal zum „Allgemeinwissen“ in der Exportwirtschaft, daß das Verfahren, von Griechenland oder Portugal aus zu exportieren, besonders einfach sei. Wer das nutze, stehe nicht schon im Ruch, illegal exportieren zu wollen.
Die EU kennt nur die zuverlässigen Partner
Immerhin sollen die Mitgliedsstatten kontrollieren, was mit den Vielzweckgeräten am Ende geschieht, deren Export sie erlaubt haben. Doch auch da sind die Unterschiede groß und in der Verordnung keineswegs ausgeräumt. Sie bieten einen weiteren Anreiz zur Verlagerung von Exporten. Der Verordnungstext besagt nur, daß die zuständigen Behörden eine Endverbleibserklärung oder Vorschriften für die Wiederausfuhr verlangen. Während Frankreich, Schweden, Italien und Deutschland den Endverbleib kontrollieren, wird das in anderen Ländern wesentlich lockerer gehandhabt. Notwendig wäre eine verpflichtende Kontrolle des Endverbleibs, um Umweggeschäfte unterbinden zu können. Bekanntlich waren die deutschen Lieferungen nach Rabta auf dem Papier für Hongkong bestimmt.
Eine sogenannte Catch-all-Regel ist nur für Massenvernichtungsmittel und Trägerwaffen vorgesehen. Diese Generalklausel besagt, daß Exporte von Gütern nicht zulässig sind, wenn diese zwar nicht auf Listen aufgeführt sind, aber der Exporteur Kenntnis davon erhält, daß sie zur Herstellung von Waffen verwendet werden sollen. Während das deutsche und britische Ausfuhrrecht solche Klauseln kennt, lehnen andere Mitgliedsstaaten sie strikt ab. Jetzt gelten sie für den ABC-Bereich, wenn der Ausführer von der Regierung gewarnt wurde oder er Kenntnis von der Mißbrauchsabsicht hat. In diesem Fall muß er die Behörde unterrichten, die dann entscheidet.
Eng verknüpft mit den fehlenden Kriterien für eine Exportgenehmigung ist die Frage nach den Empfängerländern. Gängige Praxis ist es, Listen von Staaten aufzustellen, die als zweifelhafte Kandidaten eingestuft werden. Nicht so in der Union. Hier hat man es lediglich geschafft, sich auf die Länder zu einigen, die als problemlos angesehen werden. Das Beispiel Indonesien zeigt, wie es um eine einheitliche EU-Politik bestellt ist. Großbritannien und die Bundesrepublik exportieren hemmungslos Waffen dorthin. Die Niederlande, Schweden und Portugal haben ein Embargo verhängt. Als die Bundesregierung die halbe ehemalige Flotte der NVA an Indonesien verscherbelt hatte, protestierte der portugiesische Außenminister in einem Schreiben an das Auswärtige Amt. Er ward keiner Antwort gewürdigt. Und ein niederländischer Diplomat fragte an, ob die Bundesregierung keine Probleme sehe. Er wurde beschieden, man könne solche nicht erkennen. Schiffe könnten nicht zur Unterdrückung der Bevölkerung benutzt werden.
Lange stritten die Länder auch um die Handelskontrollen innerhalb der Union. Das Ergebnis ist dürftig. Für einige besonders sensitive Güter (Supercomputer, Chiffriergeräte, akustische Unterwassersysteme und anderes) ist überall eine Genehmigung erforderlich. Darüber hinaus haben die Mitgliedsstaaten eine Liste mit insgesamt 173 Güterkategorien aufgesetzt, die für einen Übergangszeitraum kontrolliert werden dürfen. Weil aber jeder Staat andere Prioritäten hat, kontrolliert jeder, was er will. Großbritannien und Deutschland haben nur drei, Frankreich dagegen 156 Kategorien.
Alle diese Ausnahmen sollen innerhalb von drei Jahren auf ihre Notwendigkeit überprüft werden. Änderungen der Listen unterliegen dem Verfahren der „Gemeinsamen Aktion“, und die sind langwierig und kompliziert.
Abzuwarten bleibt, wie die technische Zusammenarbeit der Genehmigungs- und Zollbehörde funktionieren wird. Zollkodex der EG, Schengener Abkommen und nationale Regelungen spielen eine Rolle. Die nationalen Gesetze müssen angepaßt werden. Ein Computernetz ist eingerichtet, damit Beamte an allen Außengrenzen Genehmigungen überprüfen können. Zwar hat die Kommission schon seit ein paar Jahren Lehrgänge durchgeführt, doch der Ausbildungsstand der Beamten der einzelnen Mitgliedsstaaten ist sehr unterschiedlich. Dazu sagt man den Zöllnern in einigen Ländern nach, für eine Aufbesserung des kärglichen Gehalts schon mal beide Augen zuzudrücken.
Noch bessere Chancen für illegale Waffenhändler
Jedenfalls ist die Exportkontrolle für sensitive Güter mit dieser Verordnung geschwächt. Wer halblegale oder illegale Ausfuhren plant, der hat jetzt einige neue Möglichkeiten eröffnet bekommen. Eine kleine Briefkastenfirma in Griechenland, Portugal oder an einem andern Ort erleichtert das Geschäft. Auch sollte es kein Problem sein, Waren so lange durch die Staaten der Union hin- und herzutransportieren, bis niemand mehr weiß, wo sie sich befinden, um sie anschließend an den gewünschten Zielort zu bringen. In Häfen wird schon heute nur noch in Stichproben kontrolliert. Außerdem ist für die Möglichkeit, daß ein abgelehnter Export einfach in einem anderen Mitgliedsstaat neu beantragt wird, keine Vorkehrung getroffen. Das sollte als erstes geändert werden, fordert die Organisation „Saferworld“. Nötig sei zudem eine Liste der Staaten, in die Exporte nicht gehen sollen, und gemeinsame Lizenzierungs- und Kontrollpraktiken mit Kontrolle des Endverbleibs. Ansonsten würden die Kontrollen in der Union auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert.
Das Problem reicht jedoch über die Union hinaus. Nicht nur, daß es bisher keinen Ansatz der nördlichen Industriestaaten gibt, Exportkontrollen in Partnerschaft mit südlichen Ländern auszubauen. Exportkontroll-Regimes arbeiten ausnahmslos diskriminatorisch. Allein das UN-Kontrollsystem für Exporte von bestimmten Kategorien konventioneller Waffen versucht, einen anderen Ansatz zu etablieren. Die Ausweitung der Kategorien ist jedoch umstritten. Aber auch die bestehenden, diskriminierenden Exportkontroll-Regimes für Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme sind schlecht koordiniert. Länderlisten und Warengruppen differieren, vor allem in der nationalen Umsetzung. Und das Nachfolgesystem für Cocom ist noch nicht eingerichtet worden.
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