Sanssouci
: Vorschlag

■ Frieda Grafe kommentiert Jean Renoirs "Toni" / Rundumschlag i Wohnkultur, Folge 7: Von der Latexisierung im Laufe der Zeit

Experimentelle Filmgestaltung nennt sich ein Studiengang an der HdK, und wer an Oberhausen denkt, liegt schon fast richtig. Doch das Manifest zum Fach hat sich wie das Medium geändert: Heute muß man Ästhetik entlang der technologischen Nahtstellen lesen. Vom Cutter bis zum Programmierer hat sich womöglich mehr als nur das Berufsbild geändert. Seit dem Wintersemester 93/94 veranstaltet der im Fachbereich „Visuelle Kommunikation“ unterrichtende Filmemacher und bildende Künstler Heinz Emigholz im Arsenal eine Reihe, die sich mit solcherlei Verschiebungen im Common sense des Kinos beschäftigt: „Was tut das Medium Film mit unserem Denken? Was bedeutet Abbildung von Zeitbrocken? Wieso regt dies unser Gehirn so viel leichter an als andere Darstellungsformen?“ Dazu gehört eben auch der Wandel der Techniken: Bei einigen seiner Produktionen („Die Basis des Make-up“, „Der zynische Körper“) hat Emigholz verschiedene Filmformate ineinandergearbeitet, für sein neues Projekt, „Photographie und jenseits“, wird die gesamte Palette von Super 8 und 16 mm bis Video und CD- ROM eingesetzt und am Ende auf 35 mm aufgeblasen.

Um so erstaunlicher ist allerdings, daß das von ihm ausgewählte Programm in der Reihe des Arsenals sich recht akribisch durch die Geschichte des experimentellen Films gräbt. Carl Theodor Dreyers „Michael“ (1924) etwa stellt Emigholz dessen 41 Jahre später entstandenen Film „Gertrud“ gegenüber, Godards „Weekend“ taucht ebenso als Beispiel auf wie „Rail road Turnbridge“, die Studie des Minimal-art-Künstlers Richard Serra von 1976, oder Hartmut Bitomskys Dokumentar-Essay „Reichsautobahn“. Dazu Emigholz: „Es hat sich erwiesen, daß Experimentalfilm keineswegs die belang- und konsequenzlose Spielerei bedeuten muß, auf die man ihn in kastrierender Absicht zu reduzieren versuchte. Der von mir vertretene Zusammenhang hat definitiv einen Ort.“ Vielleicht ist dies auch der Grund, daß die Filmreihe von der HdK ins Kino ausgelagert wurde – und daß die Hochschule die Mittel für das Programm eingefroren hat. Trotzdem bleibt auch dort eine gewisse Liebe zum akademischen Diskurs bestehen. Immerhin werden die Filme von Vorträgen begleitet, in denen etwa Klaus Wyborny, Harun Farocki und Wilhelm Hein zum Thema „Die Kunst des Interviews“ dozierten. Heute wird die Journalistin Frieda Grafe „Toni“, einen 1934 von Jean Renoir gedrehten Film über Ethnologie und moderne Kunst, kommentieren. Harald Fricke

„Toni“ von Jean Renoir und Carl Einstein, heute, 17.30, mit einem Kommentar von Frieda Grafe. Arsenal, Welser Straße 25, Schöneberg

RundumschlagWohnkultur, Folge 7: Von der Latexisierung im Laufe der Zeit

Die private Revolte wandte sich zum blanken Boden. Denn mit der bürgerlichen Kultur gebrochen hatte man erst richtig, als das Bettgestell auf den Sperrmüll kam. Sich und die Matratze bettete man fortan auf den Fußboden. Die Rede ist von vergangenen Zeiten, in denen die Befreiung eine grenzenlose war. Und nun, heute, eine Aufforderung zur Inspektion der Wohnkultur: O Innenwelt der Außenwelt! Welcher Wandel: Es darf wieder ein Bettgestell sein. Die Stauballergie dankt einem diese Rückkehr zu Bewährtem bei jeder Umdrehung und der Rücken auch. Endlich kein Futon mehr! Das ist schön.

Auf dem Futon zu schlafen war Bekenntnis, eine geistige Haltung, die durch Haltungsschäden nicht geschmälert wurde. Fast eine ganze Generation rollte und wendete ihn, und die Baumwollknoten verschoben sich dabei von einer schmerzhaften Stelle zu der anderen: ein fühlbares Ergebnis der Mühe. Die praktischen Griffe an den Seiten des Futons – schwupp, wie im Handumdrehen ließe er sich wenden, hätte man eine ausreichende Armspanne. Selten so geflucht! Ungemein praktisch waren diese Griffe wiederum, wenn man umziehen mußte. Selbst in den vierten Stock ein Kinderspiel. Und wer einen Futon hat, der zieht mindestens einmal im Jahr um. Der Futon ist das unentbehrliche Wohnutensil zu den mannigfaltigen Untermietverhältnissen, die in dieser Stadt das Leben so mobil gestalten. So schnell, wie man seinen Futon an einer Adresse ausgerollt hat, so schnell kommt oft der Hauptmieter wieder. Darum nun eine Matratze. Was für eine Veränderung, nun nicht mehr Zeit für seine Matratze zu verwenden als für das eigene Wohlbefinden! So ist das nun mal im Alter, da wird man egomanisch und immer eigenbrötlerischer und fixierter. Das Material als Pendant zur eigenen Verfassung – noch nicht ganz starr, aber deutlich unbeweglicher: Latex.

Und der alte Futon? Schön gerollt in den Sack? Nein, die vielen Gäste, die lieben Freunde dürfen jetzt darauf nächtigen. Früher lagen sie mit Schlafsäcken in einer Ecke verpackt, jetzt bekommen sie ihr Gästebett. Frisch bezogen, wie sich das gehört. Sie zeigen sich erfreut: Das wäre doch nicht nötig gewesen. Beim ersten Frühstück sieht man bereits die Folgen. Mitleidig erkundigt man sich nach dem Grund für die verspannten Gesichtszüge: Ja sicher, das viele Am-Schreibtisch-Sitzen macht uns alle noch kaputt. Später kommt die Sprache auf Matratzen. „Ach, du hast dir auch eine Latexmatratze gekauft? Kein Vergleich, finde ich auch.“ Caroline Roeder