Steine brennen für die Festung Europa

■ Beim Öresund in Kopenhagen arbeitet eine internationale Künstlervereinigung mit Unterwasserinstallationen Dänemarks Verhältnis zu Exilanten auf

Salzwasser umspült die Insel in der City Kopenhagens, auf der das dänische Parlamentsgebäude steht. Es ist Wasser aus dem angrenzenden Öresund, das den ehemaligen Königspalast vom übrigen Teil der Stadt trennt.

Eben dieses Öresundwasser ermöglichte 1943 sechstausend dänischen Juden die Flucht ins schwedische Exil. Sie entkamen den deutschen Okkupanten, nachdem der deutsche Gesandte in Kopenhagen, Georg Duckwitz, Hinweise über Deportationspläne in letzter Minute an die jüdische Gemeinde weitergeleitet hatte. Im nordöstlichen Teil des Kanals vor dem Parlament erinnert jetzt eine Unterwasserinstallation mehrerer Künstler an den dänischen Exodus.

In einer Koproduktion des in Berlin lebenden amerikanischen Fotografen Shimon Attie, des Installationskünstlers Mathias Maile und der Kopenhagener Kunstgruppe BizArt mit Jesper Søholm wurden die „Portraits of Exile“ im Ostseewasser versenkt. Zwischen Børsbroen und Christian IV's Bro sind neun 1,5 mal 1,8 Meter lange Boxen auf dem Meeresboden mit tonnenschweren Betonplatten verankert. Die Bilder, die knapp unter der Wasseroberfläche schwimmen, sind kolorierte Doppelprojektionen. Über die Fotografien der Fischerboote von damals, der Seekarte mit den Fluchtrouten oder dem gelben jüdischen Stern wurden die Portraits von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Pakistan, Zypern und Afghanistan montiert.

Mit den Collagen soll einerseits das Flüchtlingsdrama von 1943 nachskizziert werden, gleichzeitig wollen die Künstler auf die heutige europäische Flüchtlingspolitik aufmerksam machen.

So beschreibt Jesper Søholm (30) von BizArt den konzeptionellen Anspruch der Wassergalerie. „Wir verstehen unser Leben nur rückwärts, aber leider leben wir es vorwärts“, zitiert er den dänischen Philosophen Kierkegaard. „Und wir schauen so selten zurück, um zu verstehen und für die Zukunft zu lernen.“ Die Dänen seien stolz darauf, den 6.000 Juden vor 52 Jahren das Leben gerettet zu haben. „Helden sind wir deshalb aber nicht.

Denn man sollte nicht vergessen, daß die dänische Regierung 1935 per Gesetz beschloß, ausländische Kommunisten und Juden nicht als politisch Verfolgte anzuerkennen und aufzunehmen. Das ist ein dunkler Punkt in unserer Geschichte.“

Dänemarks Ruf als wohlhabender Sozialstaat, der nach innen wie nach außen hin liberal ist, sorgt weiterhin für den Zustrom von Flüchtlingen. „Doch auch wir brennen unsere Steine für die Festung Europa“, kritisiert Søholm.

„Wir haben Angst davor, unseren Reichtum zu verlieren, und verteidigen ihn mit allen Mitteln. Das, was Europa gerade erlebt, vom Ultranationalismus bis hin zu den Angriffen auf Ausländer oder dem Krieg am Balkan, erreicht Ausmaße, die es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gegeben hat.“

Das sogenannte Hotelschiff „Flotel Europa“, das in Kopenhagen jahrelang vor Anker lag, ist für ihn ein Symbol des Umkippens der sozialen Kultur. Dort seien Hunderte von Menschen zusammengepfercht und mit Nummern versehen worden und warteten auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge. Einen anderen Platz gab es für sie nicht.

„Die Portraits der Flüchtlinge in den Installationen stehen gegen Zahlen und Quoten. Wir müssen die Menschen als Individuen behandeln“, fordert er.

Das dänische Kultur- und das Innenministerium sind vielleicht auch deshalb neben der Stadt Kopenhagen und der europäischen Kommission Sponsoren der 800.000 Kronen (200.000 Mark) teuren Aktion.

Die „Portraits of Exile“ gehören zu einer Reihe von Veranstaltungen unter dem Titel „Acts of Remembrance“, die an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnern.

Sie sind noch bis Ende Juli zu sehen. Danach werden Shimon Attie, auf dessen Idee die multinationale Unternehmung zurückgeht, und Mathias Maile auch in Köln, Krakau und Amsterdam ähnliche Projekte realisieren.

Und wenn es Nacht ist in Kopenhagen, beginnt das eigentlich Spektakuläre dieser einzigartigen Ausstellung: Dann nämlich illuminieren jeweils sechs Neonleuchten die Unterwasserboxen. Man meint, ein gesunkenes Schiff zu erkennen, durch dessen Fenster noch Licht scheint. Olaf Kosert