Die City als Aquarium

■ Das neue Glasdach überm Wall: Die ersten Träger stehen / Kritik am Passagenwesen

Seit gestern ist die neue Wallüberdachung in Ansätzen erkennbar. Zwar vorerst nur als Stahlskelett, und auch davon nur zirka zehn laufende Meter – das Glasdach selbst kommt erst im August drauf. Aber eins ist schon jetzt zu sehen: Den „emotionalen Kuschelfaktor“, den die Stadtplaner in der City vermissen – den wird die Konstruktion aus Glas und Edelstahl wohl nicht bringen. Denn der Schnickschnack üblicher Passagen, mit ihrem nostalgischen Zierrat und ihren türkisen Schmuckstreben, wird den Wall-Flaneuren erspart bleiben; das Bremer Archtekturbüro fährt eine klare Linie.

„Ich wollte vor allem, daß es nicht modisch wirkt“, erklärte die Architektin Gundel Große Halbuer gestern bei einer Ortsbesichtigung. Das Glasdach wird auf einer Edelstahl-Konstruktion ruhen – ein Material, das vor den historischen Fassaden eher zeitlos wirken soll. Auch auf eine bildhafte Gestaltung der Bauteile hat man verzichtet. Am ehesten sind noch sachte Anklänge an den Schiffsbau zu ahnen – tatsächlich sind die Stahlseile industrieller Herkunft und werden hier erstmals in architektonischem Zusammenhang verwendet.

Freilich: Die „sehr filigrane Konstruktion“, wie die Kaufleute sie gestern lobten, wird am Ende dennoch einen massiven Eingriff ins Stadtbild bedeuten. „500 Meter Glasdach – die kann man nicht so einfach verschwinden lassen“, sagt Große Halbuer. Mit ihrer stilistisch sehr zurückhaltenden Bauweise glaubt sie immerhin, „die beste Lösung gefunden zu haben“. So werden die Gebäude selbst weitgehend verschont, das Glasdach hält im Schnitt 30 Zentimeter Abstand zu den Fassaden. Beim ersten Modell der Wall-Anrainer vor genau zehn Jahren sollte das Dach noch direkt mit den Gebäuden verschraubt und vernietet werden.

Als weniger gelungen sieht die Architektin allerdings die Passagenbauten, die derzeit ringsum in der City entstehen. „Das ist ein Fehler, mit solchen Maßnahmen alles retten zu wollen“ – zumal die Passage, als historischer Rückgriff auf Bauformen des 19. Jahrunderts, eher nach Mailand oder Paris gehöre. Die Kaufleute aber freuen sich: „Wir wollen die Rundläufe wasserdicht machen“, sagt Herbert Korte von „Harms am Wall“. Nämlich: Von der Katharinenpassage über die neue Deutsche-Bank-Passage und die gläserne Kuppel auf dem Domshof sollen die City-ShopperInnen strömen, dann unter dem neuen Walldach entland, und immer weiter – alles regensicher abgedichtet. Ob das alles wirklich neues Leben in die Stadt bringt, bezweifelt die Architektin. Gerade die rundum geschlossenen Passagen schotten das Publikum schließlich von der Umgebung ab: „Die Leute vermissen doch die Geräusche von Wind, Regen und Autos.“ Lieber sollte man in der City „auf kleine Lösungen setzen“: mehr Grün, mehr ruhige Plätze und die kleinen Läden wiederbeleben.

Am 2. September, einem langen Samstag, soll das Walldach zwischen Herdentorsteinweg und Bischofsnadel feierlich freigegeben werden; 2,1 Millionen Mark wird der Bau dann gekostet haben – vor allem die Anrainer. Das Wirtschaftsressort schießt lediglich 15 Prozent hinzu. Ob und wann der zweite Abschnitt bis zum Polizeihaus kommt, ist noch ungeklärt. tw