Wand und Boden
: Eckdaten aus der Warenwelt

■ Kunst in Berlin jetzt: Rauschenberg, Herold, Umgang mit Veränderung

Die Idee ist hoffnungslos und amerikanisch. Zum 50. Geburtstag der Vereinten Nationen wurden 60 internationale KünstlerInnen eingeladen, um bei der Genfer Ausstellung „Dialog des Friedens“ mitzuwirken – als könne man mit Kunst den Bosnien- Krieg wegdrängen. Dabei stand die „Tribute 21“-Arbeit von Robert Rauschenberg im Mittelpunkt, die jetzt im Amerika-Haus zu sehen ist. Der US-amerikanische Pop-art-Künstler hat eine Grafik-Mappe mit 21 Druckcollagen zusammengestellt, auf denen zukunftsprägende Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts porträtiert sind. Unter Begriffe wie „Musik“, „Architektur“ oder „Bildung“, aber auch „Menschenrechte“, „Umwelt“ und „Weltall“ subsumiert, finden sich John Cage, R. Buckminster Fuller, Muppet-Erfinder Jim Henson, Nelson Mandela, Al Gore und der Astronaut Carl Sagan als Leitfiguren wieder. All diese Helden verbindet nicht etwa ein gemeinsames politisches Interesse, sondern ihr individueller Einsatz in Sachen Menschlichkeit. Audrey Hepburn, die sich zeitlebens um Kinder gekümmert hat, bekommt ebenso ein Bild wie Al Gore für seine Öko-Fibel oder Steven Spielberg, der vermutlich wegen „Schindlers Liste“ und „Die Farbe Lila“ gewürdigt wird. Daß das Ganze nicht in die Beliebigkeit einer Kaufhaus-Aktion absinkt – zumal als Förderer der japanische Multi Felissimo für die Finanzierung des Projekts einsteht –, ist der eigenwilligen Bildsprache Rauschenbergs zuzurechnen. Kein Porträt, das die Person ins Zentrum stellen würde. Statt dessen nähert sich Rauschenberg seinem Sujet über Symbole. Um die Hepburn darzustellen, benutzt er ein verfremdetes Foto von bunten Bällen und aufgeblasenen Bunnies, die auf einem Kinderfest in der Luft schweben; für die Tänzerin Trisha Brown tun's ein Gullideckel und eine Seerose, die übereinandergedruckt sind. Die Gegenstände überhöhen die realen Figuren nicht, sie sind ihnen auf poetische Weise als biographische Eckdaten aus der Warenwelt zur Seite gestellt. Darin ist Rauschenberg schon seit seinem Gockel auf einer rostigen Stele in den späten fünfziger Jahren Meister. Heute kombiniert er für die Zukunft gegen den Strich.

Bis 21.7., Mo-Fr 11-18, Sa 11-16 Uhr, Hardenbergstraße 22-24.

Um auf „die Unfähigkeit, uns durch Denk- oder Merkmale zu erinnern“, hinzuweisen, hat Jörg Herold sein „Mahnmal für einen Matrosen“ mit fünf plastischen Piktogrammen dokumentiert. Zunächst erscheinen die Skulpturen, mit denen die Räume der Galerie Eigen + Art zugestellt sind, wie eine holzgeschnitzte Hommage an Baselitz – ein Tisch hängt nur mit dünnen Holzbeinchen verkehrt herum an der Decke verstrebt. Zur Linken hat Herold einen viel zu schmalen, dafür um so mehr in die Länge gezogenen Sarg samt Glasdeckel an die Wand gelehnt, in dem nur ein schmutzig-graues Segeltuch baumelt. Auch hier wird nirgends das Antlitz einer Person sichtbar, deren man, so Herold, außer in der Imagination ohnehin nicht gedenken kann. Erst ein ausgelegtes Info-Blatt klärt darüber auf, welche Dimension dem 1965 geborenen Leipziger Bildhauer bei seiner Trauerarbeit eigentlich vorschwebt.

Das abstrakte und spröde Non- Mahnmal geht auf Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs zurück. Jedes Holzgebilde steht für Koordinaten damals in der Ostsee gesunkener Flüchtlingsschiffe: „Aus den Berichten von Überlebenden und solchen, die Leben retteten, ergibt sich für mich die Frage nach dem Umgang mit diesen Erinnerungen. Und je mehr ich über diese Ereignisse erfahre, desto bewußter wird mir meine Ohnmacht.“ Trotzdem finden sich in der situationsbezogenen Installation, die nur aufs Material im Bund mit der Geschichte verweist, sehr wohl Zeichen wieder, die, wenn schon nicht das Ereignis, so doch den Kunstproduzenten identifizierbar machen. Das grob ineinander verkantete Holzgestänge, die auf dem Boden drapierten Ellipsen aus Gips oder der Sarg, der bis zur Decke ragt – sie alle sind Elemente der Bildsprache von Jörg Herold. Mag sein, daß der Künstler kein Gedenkmodell bieten kann, aber wer den Raum verläßt, wird sich zumindest an die Arbeit erinnern.

Bis 22.7., Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Auguststraße 26.

Am Counter zweifelt eine Frau daran, ob es sich denn um „zeitgenössische Fotografie“ handele, wie die NGBK auf der Einladungskarte titelt – vielmehr sei das Ganze doch eine Themenausstellung. Und eine recht didaktische obendrein, möchte man angesichts der Auswahl hinzufügen: Dem Berliner Gosbert Adler wurden mit Doris Frohapfel und Bernd Hoffmann die eigenen Schüler zur Seite gestellt. Zufallsfilz. Dafür haben sich alle fünf KünstlerInnen aber sehr streng an die Vorgabe gehalten, nach der die Fotografie Veränderungen darstellen will, während sich „in einem rasanten Tempo die gesellschaftlichen Verhältnisse“ verändern. Doch außer auf der Fotomontage von Sebastian Kusenberg bleiben Menschen in dieser Angelegenheit ausgeschlossen. Kusenberg hat in einer Langzeitstudie lauter Detailaufnahmen vom Teutoburger Platz gemacht, so daß sich in der Montage der gleiche Gartenarbeiter an verschiedenen Stellen begegnet und ein Junge mit rotem Helm und Fahrrad dreimal vorüberfährt – alles synchron wie im Kubismus. Adler studiert dagegen vor allem Hausfassaden, die aber weniger über die Architektur aussagen sollen, als vielmehr die Fortschrittsmetaphern der schnell gebauten sechziger Jahre kolportieren. Innen wie außen, jede Wand ein graues Loch. Wie sein Lehrer fotografiert Bernd Hoffmann verödete Asphaltwege im Umland von Berlin. Teilweise schwimmen die Bilder wie wackelige Super-8- Aufnahmen. Doris Frohapfel wiederum hat Häuser bei Nacht fotografiert und mit Zitaten zeitgenössischer Schriftstellerinnen gekoppelt: „Ein Koffer genügte, um das mitzunehmen, wovon sie sich nicht trennen konnte“, steht unter einem Bild, wo noch Licht im dritten Stock brennt. Am fremdartigsten bleiben zuletzt die Fotos von Edgar Lissel. Der Hamburger hatte sich mit einem zur Lochkamera umgebauten Lkw vor Messe-, Staatsrats- und Nazibauten gestellt, um sie in der Endlosbelichtung abzubilden. Jetzt leuchten das Olympiastadion oder der Tempelhofer Flughafen in einem fahl fluoreszierenden Grün. Irgendwie hat sich außer der Technik am Gegenstand gar nichts geändert.

Bis 23.7., tgl. 12-18.30 Uhr, Oranienstraße 25. Harald Fricke