■ Srebrenica fällt, und die Demokratien sehen tatenlos zu
: Europa hat nicht gelernt

Wir sind aufgewachsen in einem Land, das unendliche Schuld auf sich geladen hat. Viele von uns haben erst im Erwachsenwerden begriffen, daß Deutschland verantwortlich ist für den unmenschlichsten Völkermord der Geschichte. Wir sind aufgewachsen in der Überzeugung, nie wieder zulassen zu dürfen, daß sich Ähnliches wiederholt. Und die bundesdeutsche Demokratie schien zusammen mit den Demokratien Europas und Amerikas Garant dafür zu sein, daß sich eine solche Katastrophe nie wiederholen würde. Nun sind wir damit konfrontiert, daß die UNO in ihrer Bosnienpolitik seit drei Jahre hin und her laviert, weil die durch sie agierenden politischen Interessen kein einheitliches Handeln zulassen. Die Ermordung, Selektion und Vertreibung von Tausenden von Menschen wird hingenommen.

Führende Politiker der Nato tun so, als sei die Nato und ihr militärische Potential lediglich zu symbolischen Demonstrationen da. Kann es wahr sein, daß die Nordatlantische Allianz als das stärkste Bündnis der Welt unfähig sein soll, den Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates zum Schutz der unschuldigen Bevölkerung in Bosnien Geltung zu verschaffen? Wir sehen jetzt, daß es wichtigen Vertretern von UNO und Nato gar nicht um ein wirkungsvolles Instrument zur Rettung der Menschen in Bosnien geht. Dadurch hat sich die UNO im Laufe der letzten drei Jahre, pendelnd zwischen dem Versuch, einen nicht existierenden Frieden unparteiisch zu schützen, die eigene Ohnmacht zu vertuschen und der Nachgiebigkeit gegenüber einigen Mitgliedsländern zur Duldung der Verbrechen in Bosnien-Herzegowina, instrumentalisieren lassen. Die Aufgabe von Srebrenica erschüttert die Glaubwürdigkeit der UNO.

Srebrenica hat uns in aller Härte gezeigt, daß nur militärischer Schutz die Menschen in Bosnien retten kann. Letztlich sollte auch die Schnelle Eingreiftruppe eine Botschaft in dieser Richtug vermitteln. Viele von uns haben diesem Ziel zugestimmt und dadurch gezeigt, daß wir als Deutsche bereit sind, ein Risiko für die Rettung der Menschen einzugehen.

Die Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Niederlage des Faschismus sind erst wenige Monate vorbei. Wir haben es für unmöglich gehalten, daß sich schon „50 Jahre danach“ in Europa ein neuer Faschismus ohne europäische Gegenwehr ausbreiten kann. Mit Verbitterung stellen wir fest, daß wir nicht die Kraft haben, die Regierungen der großen Demokratien zu bewegen, dem Völkermord Einhalt zu gebieten. „Aus der Geschichte gelernt zu haben“, das kann Europa kaum mehr für sich in Anspruch nehmen. Freimut Duve, Christian Schwarz-Schilling,

Marieluise Beck, Hildebrecht Braun

Diese Erklärung der vier Bundestagsabgeordneten von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist von weiteren Abgeordneten aller Parteien unterzeichnet worden.