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Leben hinter den Mauern

In Niger sind viele Frauen im Haus eingeschlossen  ■ Von Bettina Meier

Grell sticht die Sonne vom Himmel, die Luft ist heiß und voller Staub. Auf Strohmatten sitzen wir im sandigen Hof eines Haussa- Anwesens im 3.000-Einwohner- Dorf Baguey im Südwesten Nigers und diskutieren. Rabi, die Gastgeberin, hat die Beine von sich gestreckt und rührt mit der Hand in einer Kalebasse voller Hirse. Aufmerksam begutachtet sie jedes einzelne Korn. Rabi verläßt den Hof nur selten: Sie ist eine „mata kubli“, eine „eingeschlossene“ Frau.

„Als mein Mann mich heiratete, wußte ich nicht, was mich erwartet“, erzählt Rabi. „Ich war seine erste Frau. Es ist gut, daß ich nie etwas anderes kennengelernt habe als das Eingeschlossensein. So kann ich die Freiheit nicht vermissen.“ Rabi wirkt zufrieden. Sieben von neun Kindern, die sie zur Welt gebracht hat, sind am Leben geblieben – das ist viel in Niger. „Natürlich würde ich lieber rausgehen dürfen“, sagt Rabi, „aber das liegt ja nicht in meiner Macht. Der Mann entscheidet. Willst du einen Mann, mußt du akzeptieren, was er verlangt. So ist das eben.“

In den engen Gassen von Baguey, zwischen den hohen Lehmmauern der Familienanwesen, begegnet man wenigen Frauen. Die meisten bleiben in ihrem Hausbereich – dieser besteht aus einem großen Hof, den Lehmhütten der Frauen und den dickbauchigen Hirsespeichern. Die Höfe sind das Reich der Frauen. Hier stampfen sie mit Holzmörsern Hirse zu Mehl, das dann mit Wasser und Milch zu einer Art Suppe verarbeitet wird. Selten lassen sich Männer in den Höfen blicken. Sie betreten ihr Anwesen nur bei Nacht.

Die „matan kubli“ von Baguey sind zwar eingeschlossen, aber nicht isoliert. Bei Rabi herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Kinder dienen als Kuriere, um kleine Einkäufe zu tätigen oder Auskünfte einzuholen. Ältere Besucherinnen gehen ein und aus. Im Hof tummeln sich Hühner, Ziegen und Schafe. Nachbarinnen plauschen über die Mauern hinweg. Das Leben spielt sich drinnen ab.

Rabi ist stolz auf ihren Status. Auf ungläubige Fragen antwortet sie mit einem Lachen. „Es ist gut, eingesperrt zu sein. Keine Feldarbeit, kein Holzsuchen im Busch, kein Wasserschleppen vom Brunnen.“ Ihr Mann ist Wanderarbeiter wie viele Männer des Haussa-Volkes in dieser Region. Neun Monate im Jahr verbringt er als Straßenhändler in Abidjan, der fernen, glitzernden Hauptstadt der Elfenbeinküste. Ins Dorf kehrt er nur zur Regenzeit zurück. Mit dem in Abidjan verdienten Geld heuert er Landarbeiter an, die seine Felder bestellen. Darum kann er auf Rabis Arbeitskraft verzichten – für sie ein großes Privileg.

Ob denn die lange Abwesenheit des Mannes sie nicht verlockt, doch mal den Hof zu verlassen? Rabi ist empört. Niemals würde sie es wagen, sich der Vorschrift ihres Mannes zu widersetzen. „Gott sieht alles!“ meint sie. Und warum sollte sie auch hinauswollen? Es gehe ihr doch gut. Und außerdem würden die anderen Frauen im Dorf sagen, sie sei schamlos und habe keinen Respekt.

Baguey liegt in der Ader-Region von Niger. Im Ader leben vor allem Haussa-Bauern, aber auch Fulbe-Halbnomaden, Tuareg und seßhaft gewordene Buzu, ehemalige Abhängige der Tuareg. Kubli wird von allen Ethnien praktiziert, am meisten jedoch bei den Haussa, einem der größten Völker Westafrikas. Im 16. Jahrhundert befahl der Herrscher des Reiches von Kano – der großen Haussa-Handelsmetropole, die heute im Norden Nigerias liegt – die Einschließung aller in der Stadt Kano lebenden Frauen und baute seinen zahlreichen Konkubinen einen von hohen Mauern umgebenen Palast. Seitdem galt Kubli als Zeichen von Vornehmheit und Luxus.

Traditionell war Kubli eine städtische Erscheinung, ebenso wie in den arabischen Ländern die Verschleierung: Frauen, die sich allein auf der Straße bewegten, waren Sklavinnen oder Bäuerinnen. Heute hat es sich auch auf dem Land durchgesetzt, doch bleibt es nach wie vor an Wohlstand gebunden: Nur relativ vermögende Bauern können es sich leisten, ihre Frauen nicht auf das Feld zu schicken. Kubli bedeutet also Prestige, Befreiung von harter Arbeit.

Für die meisten „matan kubli“ in Baguey gilt das strikte Ausgehverbot nur tagsüber: Nach Einbruch der Dunkelheit dürfen sie ihren Hof verlassen, um besonderen Ereignissen wie Hochzeiten, Taufen und Todesfällen beizuwohnen. Diese Anlässe sind nicht rar.

An diesem Abend ist ein Beileidsbesuch fällig. Rabi besucht eine ärmliche Hütte. Hier ist in der vorigen Nacht ein Kind gestorben. Einziges Möbelstück ist ein kahles Bettgestell, mit Matten bedeckt. Auf dem Boden hocken ein Dutzend Frauen, es riecht nach Henna, mit dem der Leichnam eingerieben wurde. Die Mutter des toten Kindes sitzt regungslos da – kein Klagen, kein Weinen, das ist nicht üblich. Es wird über dieses und jenes geredet, Frauen kommen und gehen. Als wir nach Hause gehen, sitzen in den Gassen die Männer um Transistorradios und Petroleumlampen. Schnell huschen wir vorüber. Frauen und Männer gesellen sich nicht zueinander.

Baguey ist ein wegen der vielen Arbeitsmigranten relativ wohlhabendes Dorf. Vermögend ist Scheich Jalouna: Sein zweistöckiges Haus überragt die flachen Lehmhütten der Bauern. Scheich Jalouna ist ein angesehener Mann, dessen Einfluß nicht auf Baguey beschränkt ist. Er ist einer von vier Führern der Muslimbruderschaft „Association pour le rayonnement de la culture islamique“ (ARCI) – Vereinigung für die Ausstrahlung der islamischen Kultur. Jalouna ist ein vielgereister Mann, die ARCI pflegt Kontakte zu Nigeria und zu Libyen. Zu „mouloud“, dem Geburtstag des Propheten, kommen Anhänger des Scheichs von weit her nach Baguey.

Jalouna hat vier Frauen. Sie leben im hinteren Teil seines Hauses, den man durch mehrere niedrige Vorräume betritt – eine männerfreie Zone, nur der Scheich selbst darf hier eintreten. Die Frauen verlassen diesen Bereich so gut wie nie. Als wir eintreten, sitzen sie plaudernd in einem kleinen Zimmer. Es gibt Holzstühle, der Boden ist mit feinem Sand bestreut, die Kinder sind gut gekleidet, einige tragen sogar Schuhe. Die Frauen sind wohlgenährt, ihre Hände und Füße haben keine rissigen Schwielen wie die der Bauersfrauen. Feine Hennamuster schmücken Fußsohlen und Zehen, ihre Haut ist zart und glatt, die Augen snd mit Kajal geschminkt.

Die Frauen von islamischen Autoritäten wie Scheich Jalouna praktizieren eine besonders strenge Form von Kubli. Abendliche Ausgänge zu Familienfesten sind ihnen untersagt. Fatima, die erste Frau des Scheichs, hat seit ihrer Heirat das Haus nicht ein einziges Mal verlassen. Sogar beim Tod ihrer Mutter dürfe sie nicht hinaus, sagt sie, und umgekehrt dürfen ihre männlichen Verwandten nicht zu ihr: Trennung total. „Wir, die Frauen des Scheichs, sind Gelehrte“, sagt Fatima stolz. „Wir haben den Koran studiert. Es stört uns nicht, daß wir nicht rausdürfen. Wir leben so, wie Gott es wünscht.“

Wichtiger als der Scheich sind für das Dorfleben die Imame, die die verschiedenen Betplätze leiten, und die traditionellen Marabouts, an die sich die Bauern bei familiären Problemen wenden. Auch ihre Frauen unterliegen einer strengen Form von Kubli.

Der Einfluß der staatlichen Autoritäten ist demgegenüber begrenzt. Baguey hat, wie alle Dörfer, einen Dorfchef, der von der Dorfbevölkerung gewählt wird. Die Wahl findet auf einer Dorfversammlung statt, die der regionale Präfekt einberuft. Dabei wird auch die Frauenpräsidentin bestimmt: die örtliche Vertreterin des nationalen Frauenverbands AFN („Association des femmes du Niger“). Als „von oben“ geführte staatliche Organisation aus der Zeit des Militärregimes übt die AFN meist wenig Autorität im Dorf aus.

Kubli ist eine religiöse Angelegenheit, eine Frage des sittlichen Lebens, in dem die Zurückhaltung der Frau einen hohen Wert darstellt. Das durchschnittliche Heiratsalter für Mädchen liegt auf dem Land bei 13 Jahren. Kaum ein Mädchen wird eingeschult, Bildung beschränkt sich auf den Besuch der Koranschule. 85 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer in Niger sind AnalphabetInnen. Die wenigsten Mädchen haben so die Chance, Alternativen zur traditionellen Frauenrolle kennenzulernen – für die meisten ist ein anderes Leben unvorstellbar.

Die ARCI, zu deren Führung Scheich Jalouna gehört, bildet mit anderen Vereinigungen den landesweiten, sehr einflußreichen „Collectif des associations islamiques du Niger“ (CAIN), der von manchen Beobachtern als Vorläufer einer islamistischen Partei gesehen wird. Einige CAIN-Führer haben bereits zur Einrichtung einer „Islamischen Republik“ aufgerufen. Die kontinuierliche Verschlechterung der Lebensbedingungen in Niger seit den großen Dürren der 70er Jahre, der Bankrott des Staates und die Instabilität der erst 1993 eingeführten Demokratie – das alles bringt Islamisten Zulauf. Schon 1990 kam es in der Stadt Zinder, Hochburg der nigrischen Islamisten, zu Ausschreitungen gegen Prostituierte und „westlich“ gekleidete Frauen. Als die neue Regierung im Sommer 1994 zum ersten Mal einen Entwurf für ein Familiengesetz vorlegte, der unter anderem ein Mindestheiratsalter für Mädchen von 16 Jahren und ein Sorgerecht für geschiedene Mütter vorsah, protestierten die islamischen Bruderschaften. Die ARCI nannte den Entwurf eine „Aufforderung zur Unzucht“.

Nigrische Frauenverbände verteidigten das Gesetz. Helene Ayika, Präsidentin des Journalistinnenverbandes in Nigers Hauptstadt Niamey, erinnert sich an die Folgen: „Plötzlich kursierte eine rote Liste mit den Namen politisch engagierter Frauen, die angeblich den Islam diskreditierten. Mit Lautsprecherwagen sind sie durch die Armenviertel gezogen und haben dazu aufgerufen, uns zu meiden und zu verjagen.“ Mariama Gamatié Bayard, Vorsitzende des zur demokratischen Bewegung gehörenden Frauenverbandes RDFN („Rassemblement démocratique des femmes au Niger), erhielt zahlreiche Drohbriefe. Staatschef Mahamane Ousmane, unter Druck, distanzierte sich öffentlich von dem Gesetzentwurf seiner Regierung, das Parlament legte das Gesetz auf Eis. „Es ist beschämend“, sagt Ayika.

Angesichts solcher Entwicklungen ist Kubli kaum in Frage zu stellen – auch in der Stadt. Ramatou wohnt in Tahoua, der Hauptstadt des Ader. Ihr Mann hat eine Stelle in einem Entwicklungshilfeprojekt. Sie war auf der Schule, lebt in einem modernen Haus mit elektrischem Licht, drei Zimmern und sogar einem Wasserhahn auf dem Hof. In einem Wandschrank stehen Hunderte von Schüsseln und Töpfen – Ramatous Eigentum, auch ihr Kapital im Falle der Scheidung. Ramatou ist fremd in Tahoua, wohin sie ihr Mann nach der Hochzeit brachte. Er hat den Ruf, ein vorbildlicher Muslim zu sein – was er denkt, kann nicht falsch sein. So bleibt sie zu Hause. Eine entfernte Nichte hilft ihr im Haushalt, erledigt die Einkäufe.

„Es ist nicht gut, daß eine Frau alleine zum Markt geht“, sagt Ramatou. „Das schadet ihrem Ruf. Eine Frau soll sich nicht ohne Mann in der Öffentlichkeit sehen lassen.“ Aber ihr Mann ist selten da. Kommt er von der Arbeit, geht er gleich in die Moschee. Danach sitzt er mit Bekannten vor dem Haus und diskutiert. Ramatous einzige Gesellschaft ist ihr kleiner Sohn; Besuch kriegt sie selten, denn sie kennt in der Stadt ja niemanden. Feuerholz kauft ihr Mann, die Hirse läßt er in einer motorbetriebenen Getreidemühle mahlen, fließendes Wasser ist da. Für die Dorffrauen wäre es ein beneidenswertes Leben, aber Ramatou wirkt bedrückt. Sie freut sich jetzt darauf, daß ihr Mann vorhat, eine zweite Frau zu heiraten – dann wird sie weniger einsam sein.

Trotz Prestige und Wohlstand ist für manche Nigrerin die Monotonie des Kubli-Lebens eher abschreckend. „Mein Vater verbietet mir, auszugehen“, sagt die 16jährige Schülerin Binta. „Aber ich will nicht immer so leben. Ich lerne wie verrückt, damit ich auf die Oberschule kann. Wenn ich Bildung habe, ein Diplom, haben die anderen Respekt vor mir.“ Und sie werde keinen Mann heiraten, der sie zu Kubli zwingt.

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