Zweierlei Maß bei Kriegsflüchtlingen

Anstelle der üblichen Duldung erhalten bosnische Flüchtlinge in Hessen seit einem Monat auch Aufenthaltsbefugnisse – aber nur, wenn sie keine Sozialhilfe beziehen  ■ Aus Frankfurt am Main Franco Foraci

Ängstliche Gesichter, verzweifelte Menschenmassen auf den Straßen, Blutspuren, Kleiderfetzen, Trümmer, hilflose Blauhelme. In Bosnien-Herzegowina spitzt sich die Lage dramatisch zu. Für die meisten Ausländerbehörden in der Bundesrepublik bleibt dennoch alles beim alten. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist auf den Schreibtischen der Ordnungsbeamten ein Übergangsphänomen, und so werden bosnischen Flüchtlingen bis heute nur sechmonatige Duldungen erteilt.

„Duldungen sind die Option zur jederzeitigen Zurückweisung durch den Gaststaat unter Vorgaukelung eines Aufenthaltsrechts“, meint Peter List vom Initiativausschuß Ausländischer Mitbürger in Hessen. Mit Duldungen haben Jugendliche kein Recht auf eine Ausbildung, Erwachsene sind verpflichtet, innerhalb der Ländergrenzen zu bleiben. Besuche von Verwandten in anderen Bundesländern sind nicht gestattet. Geschweige denn Klassenfahrten für die Kinder.

Edine K. ist seit Januar 1993 in Frankfurt am Main. Mit ihrem Mann hatte sie früher in der Nähe von Banja Luka eine Klempnerwerkstatt. Am ganzen Körper trägt sie Schußverletzungen. Der Krieg hat die Famile der 38jährigen auseinandergerissen. Ihre Eltern leben in einem kroatischen Flüchtlingslager. Beide sind alt und schwer krank. Sie würde sie gerne eine Zeitlang pflegen, aber ausreisen darf Edine K. nicht. „Ich bin in Bosnien von einem Artillerie-Feuer verletzt worden. In Deutschland mußte ich später auch wegen eines Tumors operiert werden. Das waren eigentlich keine Wunden für mich“, sagt sie. „Meine einzige wirklich Wunde ist, daß ich meine Eltern nicht sehen darf.“

Seit einem Monat stellt Hessen zwar auch einjährige Aufenthaltsbefugnisse aus, um den hier lebenden Flüchtlingen längerfristigere Perspektiven zu eröffnen. Mit diesem Papier haben sie volle Bewegungsfreiheit. Doch Edine K. hat keinen Anspruch auf die Aufenthaltsbefugnis, sie ist arbeitslos und lebt von der Sozialhilfe. Ein entsprechender Erlaß vom 7. Juni 1995 bevorteilt nur die Flüchtlinge, die ein gesichertes Einkommen haben.

Wer nur über eine Duldung verfügt, findet sehr oft auch keine Lehrstelle. Beim Frankfurter evangelischen Sozialdienst für Flüchtlinge sind mehrere Fälle von bosnischen Flüchtlingskindern bekannt, die nach erfolgreichem Schulabschluß immer wieder abgewiesen werden, weil sie keinen richtigen Aufenthaltsstatus besitzen.

Carlos Westerwick vom evangelischen Sozialdienst begrüßt deshalb den seit einem Monat geltenden hessischen Erlaß, wonach Aufenthaltsbefugnisse ausgestellt werden, kritisiert aber die gleichzeitig eingebaute Ausgrenzung erwerbs- und obdachloser bosnischer Flüchtlinge. Für ihre Misere seien sie nicht persönlich verantwortlich. Beiden Gruppen stellen etwa 40 Prozent aller Flüchtlinge. In einem offenen Brief fordern daher mehr als 30 Ausländerinitiativen Innenminister Bökel auf, den Erlaß zu ändern und den Beispielen Sachsen-Anhalts und Bayerns zu folgen. Dort werden keine Unterschiede gemacht.

Notfalls könnte die faktische Diskriminierung im Gesetz gerichtlich geklärt werden, meint Westerwick. Ministeriumssprecher Gerd-Uwe Mende räumt die Ungleichbehandlung der bosnischen Flüchtlinge ein. Diese Diskriminierung sei bedauerlich, aber nicht vermeidbar. Ausländerrechtlich könne nicht mehr herausgeholt werden, da sich zu einer solchen Entscheidung laut Gesetz alle Bundesländer durchringen müßten. Ein Konsens hierzu bestehe nicht. Das Kostenargument spiele bei einigen wohl eine große Rolle.

Die Länder, erklärt Mende, hätten sich bei der vergangenen Landesinnenministerkonferenz auf den kleinsten gemeinsamen Nennen geeinigt. „Wir hätten diesen Kompromiß gern anders gesehen, aber wir sehen keine Möglichkeit, uns darüber hinwegzusetzen.“

„Menschenrechte sind für alle gleich“, entgegnet Westerwick. Es sei absurd, sie nach wirtschaftlichen Kriterien einzuschränken. Die hessische Landesregierung müsse einen Sonderweg einschlagen. „Das Ausländerrecht läßt mehr Türen offen, als man uns glauben machen will.“