: Wenn Hitze zur Klassenfrage wird
In der USA werden jetzt erstmals Hitzewarnungen veröffentlicht. Während die Wohlhabenden sich in gekühlten Räumen aufhalten, sind die Ärmeren auf Eiswürfel angewiesen ■ Aus Washington Andrea Böhm
Es gibt ein paar Lebewesen in den USA, in deren verschwitzter Haut ich derzeit nicht stecken möchte: Polizisten, Truthähne und all jene Stadtangestellten, die sich um die Wasserversorgung zu kümmern haben.
Fangen wir mit den ärmsten Schweinen an, den Truthähnen: Der amerikanische Truthahn ist nicht für tropisches Klima geschaffen, weshalb er bevorzugt in klimatisch gemäßigten kühleren Bundesstaaten wie Minnesota oder Iowa gezüchtet wird. Wenn nun dort wie in der letzten Woche eine Hitzewelle ausbricht, dann neigt der Truthahn dazu, völlig außer seiner Zeit tot umzufallen. Eigentlich beginnt das große Truthahnsterben erst kurz vor Thanksgiving im November, doch wenn Hitze und Luftfeuchtigkeit in Iowa und Minnesota ein Klima wie am Amazonas schaffen, dann muß der Truthahnzüchter ein paar hunderttausend tote Vögel zusammenschaufeln und entsorgen, was eine ziemlich schweißtreibende und frustrierende Arbeit ist, bei der sich der Truthahnzüchter hundertmal verflucht, daß er nicht Rinderfarmer oder Schweinezüchter geworden ist. Die konnten die meisten ihrer Viecher mit ihrer Sprinkleranlage abkühlen. Aber wie, bitte schön, soll man eine Woche lang eine halbe Million Truthähne abduschen?
An dieser Stelle ist eine Klärung des Begriffs Hitzewelle nötig: Wenn sich in Deutschland nach einem lausigen Frühling die Temperaturen im Juli für ein paar Wochen um die 30 Grad einpendelt, dann lacht da nicht nur der Truthahn, sondern auch der Amerikaner. Das ist keine Hitzewelle, sondern Sommer. Von einer Hitzewelle darf erst gesprochen werden, wann man sich unmittelbar nach Verlassen des Hauses in einem Dampfbad wähnt, in dem der liebe Gott nur so zum Spaß auch noch seinen Fön laufen läßt. Das Thermometer zeigt zwar nur 38 Grad an. Doch Homo sapiens und Meleagris gallopavo – vulgo: Mensch und Truthuhn – fühlen nicht wie ein Thermometer. Sie spüren Hitze und Luftfeuchtigkeit, was der „Hitzeindex“ messen soll. Und der lag in den letzten Tagen in Washington bei 47 Grad.
Der „nationale Wetterdienst“ gab zum ersten Mal in seiner Geschichte ein „excessive heat warning“ heraus, und riet von jeder körperlichen Tätigkeit ausdrücklich ab. Man sah trotzdem fitneßbesessene Jogger, darunter den Präsidenten, die, spärlicher bekleidet und schwerer atmend als sonst, über Bürgersteige und durch Grünanlagen keuchten. Meine fünfjährige Nichte, gerade aus Berlin zu Besuch, betrachtete dieses Treiben staunend bei einem Glas eisgekühlter Limonade, und fragte schließlich, warum in Amerika „so viele Männer in ihren Unterhöschen herumrennen“.
Washingtons Polizisten würden bei diesen Temperaturen liebend gern nur in Unterhöschen auftreten. Sie dürfen aber nicht. Schlimmer noch: Sie müssen nicht nur Hemd, Hose, Stiefel, Funkgerät, Knüppel und Knarre tragen, sondern auch ihre kugelsichere Weste. Da hilft kein „Super Dry“-Deodorant und kein Talkumpuder. Der Schweiß läuft in Strömen, sobald sie den klimagekühlten Streifenwagen verlassen müssen – zum Beispiel, um jene Stadtangestellten zu beschützen, die in den ärmeren Stadtviertel unter den höchst mißmutigen Blicken und Äußerungen von Kindern und Jugendlichen die Hydranten wieder abdrehen.
Die jährlich wiederkehrenden Photos von meist schwarzen Kindern unter dem Wasserstrahl von Hydranten suggerieren einen Sommerspaß, der eigentlich keiner ist. Denn der Sommer stellt auf besondere Weise die Klassenfrage und spaltet Amerika in die Klimaanlagen-Klasse und die Eiswürfel- Klasse. Erstere bezieht ein mittleres bis hohes Einkommen und bewegt sich während einer Hitzewelle unter einer Kälteglocke: Aus der Wohnung mit Air-condition in das Auto mit Air-condition, das einen ins Büro mit Air-condition und abens in das Sportstudio mit Air-condition befördert. Letztere bezieht ein niedriges oder mieses Einkommen, und kann sich bei einer Hitzewelle nur mit Produkten aus dem Kühlschrank und ein paar Ventilatoren behelfen. Wer dieser Gruppe angehört, trägt deshalb ein größeres Risiko, eine Hitzewelle nicht zu überleben. Die Alten trifft es am häufigsten.
Vorm Wettergott werden alle dann wieder gleich, wenn die Klimaanlagen-Klasse zu gefräßig wird und deswegen die Stromversorgung zusammenbricht. Das widerfuhr am Wochenende rund 5.000 Bewohnern zweier Suburbs in Washington. Für ein paar Stunden waren sie sogar unter die Eiswürfelklasse gesunken. Nicht einmal der Kühlschrank funktionierte.
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