„Bedrängte Lage“

■ Das Bremer Verwaltungsgericht spricht Kosovo-Albanern politische Verfolgung ab: In Bremen sind rund 500 Menschen betroffen

Immer wieder werden im Kosovo Menschen auf offener Straße verhaftet. Die Polizei hält sie tage- oder wochenlang fest und mißhandelt sie schwer. Die Polizei durchkämmt ganze Stadtteile und Ortschaften. Die Häuser und Wohnungen von Albanern werden durchsucht. Wird der vermeitliche Delinquent nicht gefunden, nehmen die Polizisten andere Familienmitglieder als Geiseln oder sie vergreifen sich an den Kindern. „Die Menschenrechtsverletzungen an ethnischen Albanern eskalieren“, heißt es weiter in den Berichten von Amnesty International. „Täglich“ bekommt die Menschenrechtsorganisation Berichte über die Verhaftung von unpolitischen Albanern, die im Kosovo festgenommen werden.

Daß sich die Albaner im Kosovo in einer „bedrängten Lage“ befinden, sieht auch das Bremer Verwaltungsgericht ein. Doch von einer Gruppenverfolgung der Kosovo-Albaner könne nicht die Rede sein, urteilten jetzt drei Richter und zwei Schöffen. „Das Verfolgungsgeschehen“ gelte „erkennbar einer spezifischen Zielgruppe“, die im Verdacht steht, „separatistischze Bestrebungen zu fördern oder zumindest zu unterstützen“, heißt es in dem 35 Seiten starken Urteil. Deshalb könne nicht generell von einer politischen Verfolgung aller ethnischen Albaner ausgegangen werden, vielmehr müsse jeder Einzelfall geprüft werden.

Für die 500 Albaner, deren Verfahren jetzt noch beim Verwaltungsgericht anhängig sind, hat das existentielle Folgen: Sie können sich nicht auf die Gruppenverfolgung berufen, und müssen ihre individuelle Verfolgung nachweisen. „Und das ist mitunter fast unmöglich“, weiß Rechtsanwalt Manfred Borg aus Bremerhaven. „Wer flieht, denkt nicht an Beweissicherung. Die Dokumente, um eine Verfolgung zu beweisen, fehlen oft einfach. Das bleibt ein Berg, der erst einmal erklommen werden muß und an dem viele scheitern“. In der Aufregung würden Details oft vergessen. „Und das sieht vor den Richtern komisch aus“, hat Borg beobachtet.

Mit dem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage seiner MandantInnen abgewiesen. „Wir haben diese Entscheidung erwartet“, sagt der Rechtsanwalt. Die Bremer Richter befinden sich mit ihrer Entscheidung nämlich in guter Gesellschaft mit der „einhelligen obergerichtlichen Rechtssprechung“. Trotzdem ist das Urteil für Borg „mehr als bedauerlich“.

Abgeschoben werden seine MandantenInnen, eine vierköpfige Familie aus Bremerhaven, allerdings vorerst nicht. „Es gibt für Rest-Jugoslawien einen tatsächlichen Abschiebestopp, weil man die Bürger dort nicht einreisen läßt“, sagt Merve Pagenhardt, persönliche Referentin des Innensenators.

Matthias Güldner, der zuständige Sachbearbeiter für Ausländerintegration, will sich das Urteil erst genauer ansehen, bevor er sich seinerseits ein Urteil über die Entscheidung erlaubt. Generell hätte er es allerdings „begrüßt“, wenn das Gericht die Gruppenverfolgung von Kosovo-Albanern anerkannt hätte. „Die Einzelschicksale lassen sich einfach zu schwer nachweisen“, schlägt er in die gleiche Kerbe wie Rechtsanwalts Borg. „Außerdem deckt sich das mit den Berichten von Menschenrechtsorganisationen“, gibt er zu bedenken.

Das streitet auch Hartmut Hülle, einer der Richter, nicht ab. Für das Urteil seien sogar umfangreiche Gutachten nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen sowie Berichte des Hohen Flüchtlingskommissars der UN herangezogen worden. Es bestünde zwar „eine mögliche Gefährdung aller“, erklärt der Jurist. Doch von einer „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, daß alle Kosovo-Albaner gefährdet seien, könne nicht ausgegangen werden. Außerdem gebe es unterschiedliche Grade der Gefährdung – die ja dann im Einzelverfahren nachgewiesen werden könnten. „Und genau da liegt das Problem“, sagt Rechtsanwalt Borg. Er will jetzt beim Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragen. Ob er damit Erfolg hat? „Ehrlich gesagt, das glaube ich eher nicht.“ ksc