Sex und Schwäche

Typendenken, einfach und fatal: Helmut Newtons Frauen in der Galerie Bodo Niemann  ■ Von Sophia Ferdinand

Das Bild hat seinen Preis: Die Ausstellung der Newton-Akte in der Privatgalerie kostet vier Mark Eintritt: eine „moralische Schwelle“, wie mir erklärt wurde. Wovor? Daß man nicht allzu gierig auf das Fleisch zusteuere? Die radikal nackten Frauen, die man bei Helmut Newton erwartet, wirken in ihrer Nacktheit noch geradezu teuer gekleidet; ihre Haut, ihre Formen sind Kapital. Newton liefert den Blick nach, er filtert vor, damit man nicht suchen muß.

Natürlich ist es dennoch Kunst, eine ausgesprochen kulturell vorgeprägte Angelegenheit. Geübt hat der US-amerikanische Fotograf seinen Blick an Klassik und Antike. Das zeigt die Vergleichsaufnahme einer Göttin aus Monte Carlo. Überlebensgroß wie sie ist, kann man nicht anders, als ihre spitz zugeformten Brüste als Kontur am Horizont zu sehen. Eine Berg- und Talfahrt mit dem Auge, und wie viele Dichter haben nicht den Körper einer Frau als Landschaft besungen? Die Frauen sind von unten nach oben besehen. Zweimal ist die Pose neutral, die Arme hängen vorn, zweimal hat's Bewegung: Eine Frau krampft Hände und Gesicht zusammen, bei einer anderen streuen sich die Haare in den Himmel. Konkav und konvex: die Spasmen beim Orgasmus.

Alle Gesichter sind perfekt geschminkt, genau ausgemalte Masken ihrer selbst. Aber sind dies noch lebende Modelle? Eine weitere Frau, dieser Serie gegenüber, hat ein leeres Puppengesicht, das in keiner Beziehung steht zur erotischen Pose ihres Körpers. Der Blick geht leer und glasig ins Nichts.

Dann noch einmal en detail: vier Frauen, überlebensgroße stehende Akte. Unterschiedliche Typen und so nackt, daß man die Unterschiede ganz genau sehen kann. Was macht mehr Spaß, als tatsächlich einmal die verschiedenen Brustformen oder Hüftlinien gegeneinander abzumessen. Auch das Schamhaar wächst in erstaunlich unterschiedlichen Büscheln.

Da ist die schmale Blonde mit dem ondulierten Haarschopf, in ihrer Perfektion ist sie der faschistische Frauentyp. Eine schwarzflatternde Vietnamesin kommt barfuß mit starkem Schritt auf uns zu – ihr kampfentschlossenes Gesicht gäbe ihr Würde, wäre sie angezogen, aber so ist das Gesicht nur dekoratives Attribut zu einem breiteren, flachbusigen Körper. Die älteste Dame, wohl die dünnste, hat gar keinen Busen, prompt gilt sie nicht mehr als Frau: Newton gibt ihr eine Zigarette mit Spitze, ein Monokel, gläserne Hackenschuhe und kurze Haare. Sie ist der Dandytyp, mondän, bis zur Leblosigkeit durchkultiviert und so androgyn, daß sie schon eigentlich ein Mann ist. Den Fotografen interessiert nicht die Persönlichkeit; das Symbol für die Frau ist immer ihr Körper, und der wird auf einen Nenner gebracht: Typendenken, einfach und fatal.

Im kleinen Raum rechts hängen Porträts bekannter Persönlichkeiten: Billy Wilder zieht seine Ehefrau an der Halskette zu sich herab; Salvador Dali sitzt am Ende seines Lebens auf einem Sessel vor der Attrappenwand seines Schlosses, sein Körper ist umflort von Seide, das Haar fällt in leisen Strähnen bis auf die Schultern, und eine Plastikkanüle fädelt sich noch in die Nase: Er, dessen Leben, dessen Erscheinung schon immer Inszenierung war, bleibt sich treu, wenn er sich bis in den Tod hinein exhibitioniert. Die Leiche als Model, könnte man sagen; es gilt, die Schwäche zu zeigen: in dem Porträt von David Hockney gilt das Augenmerk einem Hörgerät.

Anita Ekberg hingegen wird zum Naturdämon. In ihrem Haus bei Rom erscheint ihr Kopf über einer Felsmauer, rechts davon verzinktes Gestrüpp, der Himmel darüber dunkel, unheilschwanger. Ihre blonde Mähne ist dennoch angestrahlt, wie von selbst glühend: die ewige Löwin. Das Sexsymbol der Sechziger ist nun eine abgeklärte 60jährige.

Das Märchen „Der Runenberg“ von Ludwig Tieck will mir nicht aus dem Sinn. Darin durchwandert ein sehnsuchtsvoller junger Mann ein Gebirge. Eine verwachsene Hütte taucht auf, er späht durchs Fenster und sieht eine junge Frau, die sich umkleidet und ihr langes Haar kämmt. Er wandert weiter, jenseits des Gebirges läßt er sich nieder, heiratet und hat ein zufriedenes Leben mit Kindern und gutem Einkommen, bis ihn jenes Bild wieder einholt.

Er verläßt die Familie, durchstreift wieder das Gebirge und trifft diesmal ein garstiges, altes Weib, das ihn grausam ansieht. Als sie sich umdreht, weht dennoch ein Hauch von diesem anderen zu ihm hin, dieser Schönheit – es ist dieselbe Frau. Wild und wahnsinnig geworden kehrt der Mann in das Dorf zurück. Der Fischer von der Lorelei, der in in den Tod gelockt wird, erlebt die gleiche Geschichte. Stets bringt der Reiz der Frau den Mann vom Wege ab.

Die Unergründlichkeit des Weibes läßt sich fotoästhetisch perfekt symbolisieren im Urwald der Scham. In keinem Bild kann man sich meditativ verlieren, die Bilder sehen dem Betrachter scharf in die Augen, eine Ästhetik der Aggression. Und der vollkommene Sieg des Mannes: Helmut Newton hat sich in einer kleinen Reihe von Selbstporträts noch auf einem Foto liegend gezeigt, der überdimensionale nackte Körper eines Topmodels. Für ihn eben nicht unerreichbar.

Bis 5.8., Di-Fr, 12-18, Sa 11-16 Uhr, Galerie Bodo Niemann, Knesebeckstraße 30, Charlottenburg