Intellektuelle Instantnahrung

Kein Ende der Bocksgesänge: Dietz Bering und Rüdiger Safranski verteidigen Botho Strauß von links, und zwar erstaunlicherweise mit der guten alten Konsum- und Medienschelte  ■ Von Jörg Lau

Dietz Bering, der in der aktuellen Ausgabe des Spiegels antritt, Botho Strauß' Kulturkritik aus einer linken Perspektive auf Brauchbares durchzumustern, hat in einem materialreichen Buch die Geschichte des Kampfbegriffs „Intellektueller“ rekonstruiert. Das war, zumal 1978, als Berings Opus magnum erschien, eine nicht nur ehrenwerte, sondern politisch mutige Tat, denn damals hatte die alte deutsche Intellektuellenfeindschaft gerade ein neues Stichwort gefunden – den „Sympathisanten“, einen Begriff zur Torpedierung der freien Rede über die RAF. Das antiintellektuelle Ressentiment, so die Absicht des Beringschen Buchs, sollte durch Vergegenwärtigung seiner Geschichte gebannt werden. Wer jetzt Berings Verteidigung der Straußschen Diagnosen liest, muß sich schon sehr wundern: dem Historiker der Intellektuellen scheint sein eigener Stoff entglitten zu sein.

Denn was für seltene Preziosen sind das, die Bering aus dem Plunder birgt, um sie der Linken in einem sonderbaren Marktschreierton anzupreisen? Was sind das für „in schonungsloser Weise formulierte unzeitgemäße Wahrheiten“? „Es ist ein bisher nie gehörtes Fanal gegen eine permanent anwesende, aber dennoch nie so kraftvoll, mutig, auf nicht wegdrängbare Weise benannte Fehlentwicklung: gegen den umfassenden Versuch, alles in unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, alles in anstrengungslose happiness zu verwandeln, alles noch so Schwere und Verhängnisvolle mit cheer-girls zu umstellen und so in konsumierbaren Flitter und allumfassende Konsumgegenwart zu verwandeln.“

Unerhörte Neuigkeit! Wenn Dietz Bering es mit seinen laut Spiegel 59 Jahren geschafft haben sollte, solchen Tönen bisher zu entgehen, kann man nur sagen: Chapeau! Unsereiner, ein bißchen mehr als halb so alt, ist mit solcher intellektuellen Instantnahrung von Anfang an aufgepäppelt worden. Leicht konsumierbare Konsumkritik war der Stoff, mit dem uns das linke Juste-milieu an den Schulen und Universitäten abfüllte, bis wir allergisch gegen solch geistiges Junk food wurden. Als wir genug davon hatten und uns die seinerzeit verbannten, heute aber – wo es nichts mehr kostet! – von Strauß, Bering e tutti quanti beschworenen Nietzsche, Schmitt, Tocqueville, Hobbes et al. aneigneten, da wurden wir kurzerhand unter Faschismusverdacht gestellt oder mindestens als „Neokonservative“ etikettiert, was ja ungefähr das gleiche war.

Auch Rüdiger Safranski hat sich, im neuen Heft von Akzente, noch einmal die Mühe gemacht, das neue kritische Potential des Straußschen Essays herauszustellen. Worin liegt es? In der Kritik „der medial hergestellten Pseudowirklichkeit“, im „Bewirtschaftungsdenken“, in der „allgegenwärtigen Profanierung“ der Kultur, die daher kommt, „daß die öffentlichen Räume schrumpfen und die Menschen sich in ihre Konsumhöhlen zurückziehen.“

Wer in der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre aufgewachsen ist und sich nicht – meist gegen seine linken Lehrer – auf eigene Faust anderweitig umgeschaut hat, wird kaum etwas anderes kennen als diesen angestaubten Sound. Man muß sich schon wundern, mit welcher Chuzpe unsere Intellektuellen immer wieder die gleiche Platte auflegen. Man könnte die rechte Maskerade ehemaliger Linksintellektueller wie Strauß und Safranski auch so deuten: Wenn sie jetzt behaupten, von der rechten Seite her, „als Rechte, in der Richte“ (Strauß) zu sprechen, dann wird man ihnen vielleicht nicht so schnell drauf kommen, daß sie uns die altbekannte Medien- und Konsumkritik gröbsten Kalibers einfach noch einmal anzudrehen versuchen.

Aber damit werden sie – schöne Dialektik – uns kritischen Verbrauchern, dank des jahrelangen Trainings in intellektueller Konsumismuskritik, nicht durchkommen.

– „Der Spiegel“ 29/1995;

– „Akzente“, Heft 3 (Juni) 1995, Carl Hanser Verlag