Es rappelt im Karton der „Geschenkbibliothek“

■ Neue Krise bei Gedenkbibliothek für Stalinismus-Opfer / Pressesprecher gekündigt / Opferverbände erwägen Auflösung

Die „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus“ am Hausvogteiplatz will nicht zur Ruhe kommen. Im Gegenteil: Ohne Not setzt sie sich permanent in die Nesseln, um anschließend zu schreien, die anderen seien schuld, wenn es brennt. Im Herbst vergangenen Jahres kam heraus, daß die mit einem BAT-2a-Gehalt gut dotierte Leiterin und Geschäftsführerin der Bibliothek, Ursula Popiolek, 15.000 Mark als persönliches Geschenk von einer ehemaligen SS-Aufseherin angenommen hatte, die gerade als Opfer des Stalinismus mit 62.000 Mark entschädigt worden war. Jetzt brennt es wieder in der mit öffentlichen Geldern (1995: 175.400 Mark) finanzierten „Geschenkbibliothek“ (Bürgerrechtler Jürgen Fuchs) und zwar so heftig, daß der Ruf nach einem Abrißunternehmen laut wird.

Folgendes ist geschehen: Im Februar dieses Jahres heuerte der Vorstandsvorsitzende des Bibliotheks-Fördervereins, Wolfgang Templin, den Chinesen Xing-Hu Kuo als Öffentlichkeitsreferenten an. Kuo, der knapp acht Jahre im DDR-Zuchthaus Bautzen hinter Gittern saß, sollte das angeschlagene Image der Bibliothek wieder auf Vordermann bringen sowie das zerrüttete Verhältnis zu den Bibliotheksgründern (DDR-Bürgerrechtsbewegung, Neues Forum) und den diversen Häftlingsverbänden sanieren. Vorigen Freitag kündigte die Vorstandsmehrheit des Fördervereins Kuo den Job („Wir bitten Sie, ihre persönlichen Dinge innerhalb von drei Tagen abzuholen“), pikanterweise in Abwesenheit des Vorsitzenden Templin. Begründung des Restvorstandstrios: Kuo habe sich für die Öffentlichkeitsarbeit als „ungeeignet“ erwiesen, habe „interne Konflikte [...] vorsätzlich und mutwillig“ nach außen getragen.

Seitdem geht die Sache rund, denn die „internen Konflikte“ basieren nicht auf „privaten Streitigkeiten“, wie es das Vorstandsmitglied Achim Günther und Frau Popiolek gegenüber der taz darzustellen versuchten. Die Konflikte sind „rein politischer Natur“, so Wolfgang Templin, den die Kündigung seines Schützlings nach eigenen Aussagen „völlig unvorbereitet und ahnungslos“ traf. Er will Kuo bei einem Arbeitsgerichtsprozeß zur Seite stehen. Die Vorwürfe, die Kuo in einem Brief vom 2. Juli an die Vorstandsmitglieder von vier Berliner Häftlings- und Opferverbänden gegen Frau Popiolek erhob – und der letzlich zur Kündigung führte – sind in der Tat massiv politischer Natur.

So bewahre die Bibliotheksleiterin in einem unverschlossenen Schrank geerbte Naziliteratur aus den Jahren 1938 und 1943 auf, die sie Freunden auch ausleihe. Sie habe Kuo ein Manuskript einer ehemaligen Sachsenhausen-Internierten zur Veröffentlichung wärmstens empfohlen, in dem „in deutscher Herrenmenschenart Verachtung gegenüber anderen Völkern durch solche Formulierungen wie ,Untermenschen‘ zum Ausdruck kommt“. Sie habe während ihrer Arbeitszeit und per Diensttelefon ständig Bürgerrechtler als „Linke“ diffamiert und versuche permanent diese und andere politisch mißliebige Mitglieder durch „Intrigantentum hinauszuekeln“. Diese Politik sei Folge einer „maßlosen Eitelkeit, Selbstüberschätzung, politischer Instinktlosigkeit, totaler Selbstkritikunfähigkeit [...] und unglaublicher Dominanzsucht“, schreibt Kuo. Sein Fazit: „Zweifel sind erlaubt, ob mit Frau Popiolek überhaupt noch etwas zu retten ist.“

Diese Zweifel teilen neben dem Vorstandsvorsitzenden Templin („Die Frau muß aus dem Laden raus“) inzwischen auch diverse Mitglieder von Opferverbänden. Heinz Gerull, Vorsitzender des Kurt-Schumacher-Kreises: „Ohne Herrn Kuos Arbeit im Detail bewerten zu können, steht eines fest: Frau Popiolek, hinter der sich ein laienhaft agierender Vorstand schart, ist eine von Ehrgeiz zerfressene Unruhestifterin und Intrigantin, die erneut den Belangen der ehemaligen politischen Häftlinge und Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft geschadet hat.“ Für Gerull gibt es nur einen Ausweg aus der Misere, nämlich die „Auflösung der Bibliothek“. Und Hans Schwenke vom „Bürgerkomitee 15. Januar“: „Es ist an der Zeit, Frau Popiolek vor die Tür zu setzen.“ Sollte der Förderverein dazu unfähig sein, „muß die Gedenkbibliothek einem anderen Träger überantwortet werden“. Templin, Gerull und Schwenke warten jetzt, bis der für die Bibliothek formal zuständige Arbeitgeber, der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Martin Gutzeit, aus dem Urlaub zurück ist. Dem wollen sie ihr Kündigungsanliegen für Frau Popiolek, respektive den Auflösungsvorschlag unterbreiten. Es wird also noch weiter rundgehen. Anita Kugler