■ Kein Gehör für die Opfer der Atombombe: Von Moruroa nach Hiroshima
In zwei großen, aber getrennten Kapiteln berichtet der jüngste Nouvel Observateur aus dem Alltag des Atomzeitalters: Vorne im Heft gedenkt das linke Wochenblatt der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor 50 Jahren. Auf den letzten Seiten finden sich dann Berichte über die weltweiten Proteste gegen die französischen Atomversuche im Pazifik. Alles ganz nach dem Geschmack der französischen Regierung. Atomkatastrophe und Atompolitik werden für die öffentliche Aufbereitung säuberlich getrennt. Atombombenopfer finden dabei nur Erwähnung, wenn sie in Japan und nicht in Polynesien leben.
Nicht viel anders ist seit 50 Jahren die amerikanische Politik verfahren. Wann immer die amerikanische Atompolitik zur Debatte stand, stritten nicht Täter und Opfer, sondern nur die weltpolitischen Strategen. Für sie berührten Hiroshima und Nagasaki die Realpolitik seit 1945 nicht mehr. Aus ihrer dominierenden Sicht blieben die Atombombenabwürfe Randereignisse des vergangenen Krieges. Es reichte aus, sie mit Halblügen über ein angeblich immer noch nicht kapitulationswilliges Japan zu rechtfertigen.
Doch nicht einmal in Japan entwickelte die Politik im Licht der Atomkatastrophe einen angemessenen Diskurs: Symbolisch für dieses Versagen war bis vor einem Jahr die staatliche Weigerung, den Atombombenopfern von Hiroshima und Nagasaki eine besondere Entschädigung zu zahlen. Jahrzehntelang behandelte die japanische Regierung ausgerechnet jene Opfer, in deren Namen sie nunmehr weltweit für Abrüstung eintrat, wie Aussätzige im eigenen Land.
Vor allem angesichts der Atombombenopfer scheint jede Politik bis heute zu versagen. Den Opfern des Holocaust konnte immerhin das vordringlichste Versprechen, das einer demokratischen Gesellschaft, die die Würde des Menschen wahrt, eingelöst werden. Von Hiroshima über Moruroa bis Tschernobyl aber ernteten die Opfer im ganzen immer nur Schweigen. Der deutsche Kanzler hat endlich Auschwitz besucht, aber in Hiroshima war noch nie ein amerikanischer Präsident zu Gast. Nicht einmal der japanische Kaiser traut sich am Jubiläumstag in die Atombombenstadt und reist deshalb schon nächste Woche an.
Hiroshima wahrt damit freilich seinen Ruf, Welthauptstadt einer Friedensbewegung zu sein, der noch keine Regierung beigetreten ist. Die Proteste gegen die französischen Atomversuche im Pazifik geben den 50. Gedenkfeiern im August insofern das richtige Geläut, wenngleich mit ihnen noch nicht jener neue „sittlich-politische Zustand“ heraufzieht, den Jaspers 1958 angesichts des weltweiten atomaren Vernichtungspotentials gefordert hatte. Dabei klingt die Botschaft Hiroshimas noch immer ganz einfach: „Wir werden den Fehler nicht wiederholen“, heißt es auf dem Opferdenkmal im Friedenspark.
Georg Blume, Tokio
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