Vor dem Ende der UN-Mission in Bosnien

In London berät die Bosnien-Kontaktgruppe heute über die Verteidigung von Goražde. Sollte es zu keiner Einigung kommen, werden die USA wohl das Waffenembargo aufheben  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Das heutige Londoner Treffen der Bosnien-Kontaktgruppe wird von vielen Diplomaten als vermutlich letzte Möglichkeit bewertet, die UN-Mission in Bosnien zu retten. Wenn sich die Außenminister Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens, Rußlands und der USA nicht zu einem militärischen Eingreifen der Nato in der ostbosnischen Enklave Goražde durchringen, dürfte dies zum Abzug der UNO aus Bosnien führen.

Nach einer Serie von Telefongesprächen von US-Präsident Bill Clinton mit seinem französischen Amtskollegen Jacques Chirac und dem britischen Premier John Major erklärte US-Sprecher Nicolas Burns, alle drei Regierungen seien für die Verteidigung Goraždes. Auf welche Weise, das konnte auch Burns nicht sagen. US-Verteidigungsminister Perry sprach sich für umfassende Luftangriffe der Nato aus. Dabei solle auch auf Geiseln keine Rücksicht genommen werden. Dies dürfte jedoch von London und Paris abgelehnt werden. Die beiden Regierungen stellen das größte Kontingent der Blauhelme, die bei einem Lufteinsatz Gefahr laufen, als Geiseln genommen zu werden.

Sollte das Treffen wieder ohne Beschluß zu Ende gehen, könnte dies dazu führen, daß der US-Kongreß sich für die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien ausspricht. In der Nacht zum Donnerstag war ein entsprechender Beschluß noch einmal vertagt worden, um der Clinton-Regierung in London ihren Entscheidungsspielraum zu lassen. Nach allen bisherigen Äußerungen von der UNO und aus den Hauptstädten, die Blauhelme in Bosnien stehen haben, müßten die Soldaten dann abgezogen werden.

Vor allem Frankreich drängt deshalb, die Schutztruppen in Goražde und Sarajevo zu verstärken und ihnen für den Fall eines Angriffs der bosnischen Serben Luftunterstützung zuzusichern. Für Chirac steht nicht nur die Glaubwürdigkeit von UNO und Nato auf dem Spiel, sondern auch die eigene. Er hat in den letzten Tagen stets wiederholt, daß eine Aufhebung des Embargos und der Abzug der Blauhelme zu einer Eskalation des Krieges führen würde.

Über eine Verteidigung der Schutzzone Žepa wurde dagegen nicht mehr nachgedacht. Die abgelegenen Bergdörfer wären nur mit ungleich größerem militärischen Aufwand zu halten als Goražde. Als die Außenminister der EU am Montag ergebnislos auseinander gingen und eine Entscheidung „frühestens am Freitag“ ankündigten, gingen sie offensichtlich davon aus, daß Žepa bis dahin in serbische Hände gefallen sein würde.

Gegen einen militärischen Einsatz sträuben sich vor allem Rußland, Großbritannien und die UNO. Der britische Verteidigungsminister Malcom Rifkind verfocht am Mittwoch erneut das umstrittene „Zwei-Schlüssel-Prinzip“, das der UNO ein Mitspracherecht bei Nato-Einsätzen einräumt und deshalb auf ein weiteres Abwarten und Hoffen hinausläuft. UN-Generalsekretär Butros Ghali sagte in Genf, es müsse weiterhin eine Verhandlungslösung gefunden werden. Er hoffe, daß in London Wege dafür eröffnet werden. Für einen militärischen Einsatz sei ein Auftrag des UN-Sicherheitsrates nötig.

Britische Nato-Diplomaten in Brüssel spielten gestern die Bedeutung des Treffens in London herunter. Beschlüsse seien nicht geplant, sagten sie. Die britische Regierung will nicht weiter in den Konflikt hineingezogen werden und fürchtet zudem, daß nach einem Militäreinsatz in Goražde die bosnischen Serben den Krieg in andere, derzeit relativ friedliche Gebiete Bosniens, etwa Bihać, verlagern würden. Nach einem Telefongespräch, das Kohl mit Präsident Jelzin führte, hieß es aus Bonn, beide Politiker hätten sich für eine friedliche Beilegung des Konflikts ausgesprochen.

Der französische Premierminister Alain Juppé hat unterdessen sein Drängen auf eine französisch- britische Operation in Goražde mit der Ankündigung untermauert, Paris werde 1.000 Soldaten in die Schutzzone schicken. In einem Telefongespräch versuchte Chirac, den US-Präsidenten zum Einsatz von US-Hubschraubern zu bewegen. Die USA wollen auf keinen Fall eigene Soldaten entsenden, weder Bodentruppen noch Piloten. Militärexperten sind der Meinung, daß die für einen Militäreinsatz in Goražde nötige Truppenverlagerung ohne die Spezialhubschrauber der US-Armee nicht möglich ist.