„Gespart wird dadurch überhaupt nichts“

■ SPD kritisiert Reform der Sozialhilfe / Sozialstadträtin Junge-Reyer warnt vor Verarmung der Bezirke / Mindestabstand zum Arbeitslohn „unrealistisch“

Die Sozialhilfereform von Bundesgesundheitsminister Seehofer (CSU) stößt bei Berliner Sozialpolitikern auf Ablehnung. Die Bonner Pläne sehen unter anderem vor, die Sozialhilfe zu kürzen, wenn ein Arbeitsplatz nicht angenommen wird. Allein in Kreuzberg sind 6.000 Sozialhilfeempfänger auf Arbeitssuche. „Das heißt, wir müßten 6.000 Arbeitsplätze anbieten. Das ist utopisch“, stellt die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) fest. Zur Zeit seien im Bezirk rund 300 Sozialhilfeempfänger in Arbeitsprogrammen beschäftigt. Die Nachfrage sei jedoch wesentlich größer.

Die von Seehofer angepriesenen Einsparungen für die Kommunen hält die SPD-Politikerin ebenfalls für unrealistisch. „Für die Kommunen ist das eine Mogelpackung. Gespart wird dadurch überhaupt nichts“, so Junge-Reyer. Die Sozialstadträtin warnte davor, daß weitere Kürzungen der Sozialhilfe zu einem Wohlstandsgefälle zwischen den Bezirken führen werde.

„Die Betroffenen werden am normalen Leben kaum noch teilhaben können. Kulturelles Leben, Kneipenbesuche, Dienstleistungen, das alles wird nicht mehr bezahlbar sein“, betont Junge-Reyer. „Dadurch wird das Gewerbesteueraufkommen zurückgehen, und für soziale Aufgaben, wie Kita- und Schulbauprogramme wird es an Geld fehlen“, beschreibt die Stadträtin die Verarmungsspirale.

Als verheerend bezeichnet Junge-Reyer die sogenannte Lohnanpassungsklausel des Seehofer-Pakets. Danach bemißt sich die Höhe der Sozialhilfe nicht mehr nach dem Mindestbedarf. Vielmehr soll künftig ein Abstand von 15 Prozent zu den unteren Einkommensgruppen eingehalten werden. „In Kreuzberg beziehen auch Arbeitnehmer Sozialhilfe, weil sie ohne den Zuschuß ihre Miete nicht mehr bezahlen könnten“, so Junge-Reyer. Sollte die Reform tatsächlich in Kraft treten, wären Sozialhilfeempfänger massiv von Obdachlosigkeit bedroht.

Auch Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) verurteilt das Sparprogramm der Bundesregierung. Seehofer schade dem sozialen Frieden, indem er Sozialhilfeempfängern unterstelle, sie seien arbeitsscheu und faul. „Viele Sozialhilfeempfänger sind alleinerziehende Mütter, Rentner, Kinder und Behinderte, die keine Arbeit annehmen können“, stellt Stahmer-Sprecherin Rita Hermanns klar. Die anderen würden auf das Berliner Programm „Hilfe zur Arbeit“, durch das Sozialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, sehr positiv reagieren. Über 2.000 arbeitslose Sozialhilfeempfänger nahmen im letzten Jahr an dem Programm teil. Gesa Schulz