Wand und Boden
: An-/ausgeschwärzt

■ Kunst in Berlin jetzt: Calle, Iofrida, Kahlen, Dector, Dupuy

Sophie Calles Objekte bei Arndt & Partner sind Grabsteine, besser: rund 100 Schwarzweißfotografien von Gräbern. „Les Tombes“ von 1991 sind auf einem befremdlich puristischen Friedhof in Kalifornien entstanden, auf dem keine individuellen Toten verzeichnet sind. Ohne Namen, Geburts- und Todesdatum steht nur „Mother“, „Father“, „Sister“ oder „Son“ auf den Steinplatten. Eine Grabbegrenzung fehlt, gleichwohl hat Sophie Calle mit ihren Fotos eine Art Einzelgrab konstruiert. Der Stein sitzt am oberen oder unteren Bildrand, und der karge Boden – mal mit kleinen spitzen Steinen, mal mit Ölbaumblättern, mal scheint er auch mit Teppichboden bedeckt – formt eine rechteckige Grab-/Bildfläche. Obwohl die seltsame Logik dieses Friedhofs eigentlich vermittelt, daß er nur aus fünf oder sechs Grabsteinen überhaupt bestehen dürfte, pars pro toto für den möglichen Status der Toten innerhalb der Familie, erkennt man ohne weiteres, daß es Hunderte von verschiedenen Steinen sind, die immer das gleiche sagen, von Ausnahmen wie „Unknown“, „Orphan“ oder „Husband“ abgesehen. Wer will sich so erinnern, wer kann sich so erinnern und woran? Über dieses Rätsel wahrt die bekanntermaßen erinnerungssüchtige Sophie Calle Schweigen.

Bis 30.7., Mi.–So. 14–19 Uhr, Sophienstraße 6, Hackesche Höfe

So dunkel die Fotografien der Französin Sophie Calle, so hell und licht sind die Kleinformate der Französin Myriam Iofrida bei der Kunstagentur Auf Zeit. Iofrida malt auf 14 mal 23 Zentimeter messende Pappkartons pastellfarbene Ölkreideformen, die zwischen organischer Ornamentation und vager Gegenständlichkeit angelegt sind. Eine quasi konzeptionelle Abstraktion erreicht sie durch die Hängung. Myriam Iofrida hat die kleinen Blätter derart an die Wände gruppiert, daß man in den so entstandenen Figurationen kodierte Wortfolgen vermuten könnte, Sätze oder eine choreographische Notierung: Iofrida hat auch mit dem Medium der Performance gearbeitet. Daher ist es vielleicht richtig, von einer interdisziplinären Arbeit zu sprechen, denn auch die einzelnen Bildtitel bezeichnen ausdruckstänzerische Gesten, „Die Flammen“, „Die Tränen“, „Auftauchen“ oder „Durchsichtig“.

Bis 27. 8., Mo.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, Habsburgerstraße 10, Schöneberg

Die Erzeugung komplexer dreidimensionaler Werkstückgeometrien ist einer der Schwerpunkte der fertigungstechnischen Forschung am Produktionstechnischen Zentrum Berlin. Zu diesem Bereich gehört auch die Fünf-Achsen- Kohlendioxd-Laser-Schneidanlage zur trennenden oder abtragenden Werkstoffbearbeitung. Dieser Maschine und der Hilfe der Ingenieure Bernd Kallies und Stefan Liebelt hat sich Wolf Kahlen bedient, um sämtliche Objekte der Ausstellung „Laserschnitte“ am Ort der Ausstellung zu erzeugen. Kahlens Werkstoffe waren im Zusammenhang der Fertigungsmethode eher ungewöhnlich: dicke Holzbohlen, objets trouvés wie ein alter Holzstuhl, alte Notenbücher, verschiedene Blechgießkannen und -eimer oder verrostete Eisenschaufeln. Aber technisch gleichgültig schneidet der Gasstrahl mit gleichbleibender Präzision in jedes noch so fragile, feste oder verrottete Teil die vom Künstler gewünschte Form. Flammen und Flügel und der Kontinent Australien, der zufällig in der Maschine programmiert war, brechen nun aus den Alltagsgegenständen hervor, stehen quer, wandern als Ausschnitt in ein nächstes Bild oder Objekt. Das Ganze summiert sich zu Sinnbildern, die Wasser, Feuer, Erde, Luft und Geist symbolisieren sollen. Brandspuren am Papierschnitt, Flügel am Wassereimer sind so leicht zu entziffern. „Without SPIRITual Energy NoThing MATTERs“, sagt Wolf Kahlen. Zu grundlegend, um nicht sofort über das Geistige in der Kunst ins Stolpern und Stottern zu kommen. Über die Technik in der Kunst und die Entstehung von Kunst im Raum avancierter Technikforschung zu reflektieren ist aber an diesem Ort reizvoll genug.

Bis 10. 8., Di.–Fr. 14–17 Uhr, Pascalstraße 8-9, Moabit

Trennen und Verschmelzen sind grundlegende Verfahren aller technischen und kulturellen Weltenbaumeisterei. Eine Zwangsversöhnung politischer Art betrieben Michel Dector und Michel Dupuy in ihrer Arbeit „Fresco + Kaviar“, als sie die Dienstagausgabe der jungen Welt und der taz ineinanderblätterten. Die hybride Kunstzeitung – bedeutet ihre Verdoppelung die Erweiterung oder Ausblendung der Positionen von taz und junger Welt? – begleitet ihre Freskomalerei im Studio III des Bethanien. Die ließe sich als formales Spiel der Minimal art lesen, wäre da nicht der reflexartige Zwang, die dunklen Zeichenfiguren unter der Haut weißer Wandfarbe zu entschlüsseln. Wir Städtebewohner kennen die Parole „Verwische deine Spuren!“ Es sind aber die Versuche der anderen, die eigenen wilden Zeichen und Symbole auszulöschen, die zu den „slogans caviardés“, den unkenntlich gemachten Graffiti in den Straßen der Metropolen führen. Vermessen und fotografiert, werden sie von Dector/ Dupuy in den weißen Raum der Galerie hinprojziert, werden Malerei, die allerdings eine Spur zur gesellschaftlichen Realität außerhalb des Kunstraums legt. Der wirkliche Caviardeur sei jedoch die taz, deutet die junge Welt anläßlich der Aktion an. Die Wendung „caviarder“ oder „passer au caviar“ verweist auf die Zensurpraxis unter Zar Nikolaus I., das Schwärzen unliebsamer Textstellen. Die junge Welt jedenfalls beschwert sich über das „beredte Schweigen“ der taz auf Angriffe von ihrer Seite. Dabei wird Wiglaf Droste in der taz nicht zensiert, sondern zitiert...

Bis 13. 8., Di.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2, Kreuzberg Brigitte Werneburg