Gräber mit Gummibärchen bepflanzt

Eine botanische Zeitreise zu Mops-Kiefern und Laubbäumen, unter denen man New-Age-Klängen lauschen kann: Impressionen von der Buga 95 in Cottbus, der ersten Bundesgartenschau in den neuen Ländern  ■ Von Dorothee Wenner

Cottbus hat die Zeichen der Zeit erkannt: Die Stadt ist schmuck herausgeputzt, sämtliche Straßenschilder sind zweisprachig (deutsch/sorbisch), und mit der „Booga, Booga“ hat sie den touristischen Publikumsmagneten für die demographisch am stärksten wachsende Gruppe der Bundesrepublik geschaffen: die Rentner. Ein nicht enden wollender Strom von Reisebussen karrt sie durch „blühende Landschaften“ auf den riesigen Parkplatz, am vergangenen Wochenende wurde der millionste Besucher begrüßt. In sengender Hitze scharen sich die unternehmungslustigen Damen und Herren im Schatten um die Busse und warten auf den Beginn der Führung oder die Rückreise. Wer nicht mehr so gut zu Fuß ist, den bringt die offene Parkbahn bis zum „Bahnhof Zoo“, ins Herz der neu gestalteten Stadtlandschaft. Auf diese Weise allerdings läuft man Gefahr, die wilden (?) Hanfpflanzen an den Bahngleisen vor dem Haupteingang zu übersehen.

Früher war das Buga-Gelände, das an den Branitzer Park des Flaneurs und Pleitiers Hermann Fürst von Pückler-Muskau grenzt, eine sandige Ödnis. Zu DDR-Zeiten fand dort einmal im Jahr das Pressefest statt, ansonsten wurde es von Anwärtern auf die Fahrerlaubnis zum Üben benutzt, später siedelte sich vorübergehend ein Gebrauchtwagenhändler auf der brachen Fläche an. In beispielloser Geschwindigkeit haben die Cottbuser das Areal seit 1992 rekultiviert: Wofür andere Bundesgartenschauen fünf bis zehn Jahre brauchten, das ging in der Lausitzer Hauptstadt in nur drei beschleunigten Nachwendejahren über die Bühne. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen, wenngleich die Pracht vieler neugestalteter Parkzonen mit den Jahren noch besser zur Geltung kommen wird.

Abwechslungsreich, mit geschärftem Bewußtsein für landschaftliche Besonderheiten und regionale Eigenheiten bietet die Buga 95 gärtnerische Glanzleistungen und ganz nebenbei auch Anregungen für die Gartengestaltung daheim. Dabei läßt sich ein deutlicher Trendwechsel beobachten: Während frühere Bundesgartenschauen eher protzig auf großer Fläche zeigten, wie viele Blüten die einzelnen Pflänzchen durch Düngung und Hormonbehandlung zu produzieren in der Lage sind, heißt es heute auch bei der kommunalen Parkgestaltung „back to nature“, ästhetisch und ökonomisch. Beispielhaft dafür sind die prominent plazierten wiederentdeckten alten Sorten und lang geschmähten Arten, vor allem jedoch der fünf Hektar große Wiesenpark im südlichen Bereich der Buga, wo mit großem Aufwand eine artenreiche Blumenwiese hingezaubert wurde. Sogar in den klassischen Rabatten entlang des Parkweihers mit ihren typischen Kalendermotiven – Yves-Klein-blaue Ritterspornbeete der Sorte „Völkerfrieden“ oder minolfarbene Astilben-Arrangements – ist sorgfältig etwas Wildwuchs (früher: Unkraut) zwischen die Stauden gesetzt.

Für zukünftige Gartenschauen allerdings sollte man eine Anregung aus dem nordthailändischen Eriwan Resort aufnehmen. Dieser winzige Park ist so angelegt, daß man sich inmitten speziell angelegter Hügelbeete mit leerer Mitte – auf Holzhöckerchen sitzend oder kniend – postkartenmäßig ablichten lassen kann. In Cottbus hingegen sind die meisten visuellen Attraktionen so angelegt, daß der Besucher ganz im Stil der englischen Gartenkunst auf dem Spaziergang nach und nach botanisch belehrt und floral überrascht wird.

Daß nicht nur Gärtner und Landschaftsplaner bei der Konzeption mitgewirkt haben, merkt man spätestens im „Klanggarten“, wo man sich auf Liegestühlen unter hohen, alten Laubbäumen esoterischen Klängen hingeben kann. Vor allem bei Sonnenuntergang, wenn das Meditationsgeplänkel das Vogelgezwitscher übertönt, scheint die Idee direkt aus der New-Age-Branche zu stammen. Erstaunlich diesseitig wirkt dagegen die Gläserne Kirche. Während innen Info-Stelltische zur Schulden-Problematik stehen, ist davor ein „Bibelgarten“ angelegt, wo viele der in der Heiligen Schrift erwähnten Pflanzen nebeneinander wuchern. Ein Handzettel erklärt ihre Symbolik und zitiert die passenden Bibelstellen: „... Der Orientale liebt auch sehr Gewürze. 4. Mose 11, 5-6: Wir gedenken der Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, der Gurken, Melonen, des Lauchs, der Zwiebeln und des Knoblauchs.“

Gegenüber zeigen die Friedhofsgärtner ihr Können. Hier hat sich die Wildwuchs-Mode noch überhaupt nicht durchgesetzt, die Schaugräber sind eine skurrile Ansammlung barocker Blütenkissen auf tipptopp geschnittenen Bodendeckern wie etwa die Mops-Kiefer oder auch strubbelig-niedriger Wacholder. Auf einem Grab ist ein Buchsbaumstrauch gar in Form eines Gummibärchens gestutzt! Zusammen mit der individuellen Grabmalgestaltung wirken viele der letzten Ruhebetten eher wie morbide Wohnzimmer: Aus alten Dachbalken ist für den imaginären Toten „Hans Pfeil“ eine Komposition mit Eisenpfeilen entstanden, für Republikflüchtlinge wird ein Miniatur-Grenzpfahl („Grenzpfahl des Lebens“) vorgeschlagen, auch die Poller-Stelen-Form ist als Gedenkstein durchaus in. So sehr die vielen Rentner unter den Besuchern diese Anlage auch interessiert, die Erinnerung an den Tod aus gärtnerischer Perspektive mag ein tieferer Grund für deren Benehmen in den Cafés und Restaurants sein.

Eine Serviererin ist zur Buga- Halbzeit reichlich genervt über den unverschämten Ton ihrer betagten Gäste. „Die aus dem Westen sind besonders schlimm: ,Ihr Ossis müßt das Arbeiten erst noch lernen!‘ So was kriegt man hier jeden Tag zu hören, egal wie schnell wir bedienen! Trotzdem würde ich nach dem Ende der Buga gerne hier weiterarbeiten“, sagt die junge Cottbuserin und läßt den Blick nachdenklich über das künstlich gestaltete Paradies vor der Terrasse schweifen.

Sogar ein Tertiärwald gehört zum heutigen Buga-Gelände, der bereits 1987 als Außenstelle des Museums der Natur und Umwelt angelegt wurde und eine botanische Zeitreise in die Lausitzer Gegend vor zehn bis zwölf Millionen Jahren – das „Braunkohlezeitalter“ – erlaubt. Die Braunkohle ist vielleicht das eigentliche Geheimnis der Cottbuser Buga (auf der die Laubag mit einem Info-Center vertreten ist), denn der Kohleabbau hat mondähnliche Wüsten hinterlassen, bei deren Anblick sich die Ärmel jedes künstlerisch gesinnten Landschaftsgestalters quasi von allein hochkrempeln.