"Das ist die Ruhe vor dem Sturm"

■ Fathi Schekaki, der Generalsekretär der radikalen palästinensischen Organisation Dschihad Islami, kündigt weitere Selbstmordanschläge gegen Israel an und spricht sich gegen den Friedensprozeß im Nahen Oste

taz: Herr Schekaki, seit Monaten hat Ihre Organisation keine Selbstmordanschläge gegen Israel mehr durchgeführt. Haben Sie die Entscheidung getroffen, solche Operationen einzustellen?

Fathi Schekaki: Nein. Das ist die Ruhe vor dem Sturm. Unsere Entscheidung ist es, die amalyat istischadeyeh, die Märtyreroperationen, bis zur Befreiung Palästinas fortzusetzen. Früher oder später werden Sie von uns hören. Es ist nur eine Frage der Logistik und des besten Zeitpunktes für solche Operationen.

Sie schicken junge Leute in den Tod. Sie nutzen ihre Verzweiflung aus, unterziehen sie einer Gehirnwäsche und verherrlichen ihnen gegenüber den Tod. Wie kann das eine Befreiungsstrategie sein?

Das stimmt überhaupt nicht. Diese jungen Leute waschen unsere Gehirne. Sie üben die ganze Zeit Druck auf uns aus, damit wir sie in amalyat istischadeyeh schicken. Ich habe Dutzende von Briefen bekommen, in denen sie fordern, daß wir sie so schnell wie möglich mit solchen Operationen beauftragen.

Es ist kaum nachvollziehbar, daß man darum wetteifert, in den Tod geschickt zu werden, selbst wenn man verzweifelt ist.

Die westliche Mentalität kann das nicht verstehen, weil sie nichts von unserer Religion versteht. Im Islam ist der Tod nicht das Ende des Lebens. Der Märtyrer, der sich für Gott, für seine Religion und sein islamisches Land opfert, wird ins Paradies eingehen. Dort spielt sich das eigentliche Leben der Gläubigen ab. Diese religiösen Gründe spielen die entscheidende Rolle. Das erklärt auch, warum junge Leute sich opfern wollen. Die Theorie der Verzweiflung ist falsch. Manche der Jungen, die sich geopfert haben, stammten aus wohlsituierten Familien und waren in ihrem Studium erfolgreich. Die nationalen und politischen Gründe spielen auch eine wichtige Rolle. Diese Jungen sehen mit ihren eigenen Augen, wie die Israelis ihr Land stehlen, wie sie ihr Volk unterdrücken und ihre Freunde festnehmen und umbringen. Deshalb kommen sie zu dem Ergebnis, daß der Märtyrertod die einzige Methode ist, sich und ihr Land zu befreien.

Man kann seine Rechte aber auch mit politischen Mitteln erkämpfen.

Wir haben aus unserer Erfahrung gelernt, daß politische Mittel uns keine Früchte gebracht haben. Die Welt hat uns lange Jahre ignoriert. Nur durch unseren Kampf und unseren Aufstand konnten wir die Welt zwingen, sich um uns zu kümmern und sich zu bemühen, eine Lösung für unsere Frage zu finden.

Aber durch die Anschläge haben Sie das Leben Ihrer Landsleute erschwert. Israel hat seine Grenze zu den palästinensischen Gebieten geschlossen und Tausende von Menschen haben ihre Arbeit verloren.

Erstens ist Israel für alle Schwierigkeiten und Heimsuchungen der Palästinenser verantwortlich. Zweitens haben wir seit Monaten keine Operationen gemacht, aber trotzdem hat Israel Tausende von Dunums palästinensischen Bodens beschlagnahmt und Tausende von Palästinensern festgenommen. Dies beweist, daß Israel keinen Vorwand braucht, um seine Unterdrückungspolitik gegen die Palästinenser fortzusetzen. Dies beweist auch, daß Israel keinen Frieden, sondern unser Land behalten will.

Israel führt zur Zeit Friedensverhandlungen mit der PLO und Syrien. Mit Jordanien hat es schon einen Friedensvertrag geschlossen. Ist es das Ziel Ihrer Organisation, den Frieden zu zerstören?

Was wir sehen, ist kein Frieden. Die Israelis haben sich von Gaza, der wie ein Dorn in ihren Augen war, befreit. In der Westbank wollen sie nur die Palästinenser loswerden, aber so viel Land wie möglich behalten.

Was mit Jordanien passiert, ist nur die Verkündung eines langjährigen geheimen Ehevertrages. Die jordanische Monarchie hatte immer gute geheime Kontakte zu den zionistischen Feinden. Mit Syrien und wegen der israelischen Hindernisse wird es lange dauern, bis sie einen gerechten Frieden erreichen. Ich bin im Gegenteil sicher, daß dieser Frieden in Zukunft zu mehreren Kriegen führen wird.

Warum?

Es ist ein Frieden, der auf den heutigen Machtverhältnissen basiert. Israel ist heute stärker als alle arabischen Länder. Aber das wird nicht immer so bleiben. Israel will seine starke Position benutzen, um einen Frieden aufzuzwingen, der ihm eine dominierende Rolle in der Region gibt. Die USA unterstützen Israel darin völlig. Wie kann es sein, daß vier Millionen Israelis eine größere Rolle spielen als mehrere Hunderte Millionen Muslime und Araber? Diese würden das nicht als Frieden sehen, sondern als Verletzung ihrer internationalen und religiösen Würde.

Meinen Sie, ein solcher Frieden würde nur zwischen den Regimes und nicht zwischen den Völkern herrschen?

Die arabischen und islamischen Völker würden einen solchen ungerechten Frieden ablehnen. Wir sehen heute die ersten Zeichen für eine Ablehnung. In den meisten arabischen Ländern wurden Komitees gegründet, die gegen die Normalisierung der Beziehungen zu Israel kämpfen. Die Zahl der Leute, die jeden Tag feststellen, daß dieser Frieden ungerecht und beleidigend ist, mehrt sich.

Sie wollen keinen Frieden mit Israel. Was wollen sie dann?

Wir haben kein Problem mit den Juden. Das Problem ist die Existenz des jüdischen Staates Israel. Das Land Palästina ist arabisch und islamisch und gehört uns. Die Juden können in einem arabischen und islamischen Palästina mit den gleichen Rechten unter uns leben. Ihre Religion und Tradition würden respektiert.

Wie ist Ihre Beziehung zu der palästinensischen Regierungsbehörde in Gaza und ihrem Chef Jassir Arafat?

Wir haben keine Beziehungen zu Arafat und seinen Leuten. Unsere Politik ist: Wir werden unsere Hand nicht demjenigen geben, der dem zionistischen Feind die Hand gedrückt hat. Arafat versucht, unseren Dschihad gegen den zionistischen Feind zu stoppen. Aber er wird es nicht können.

Bedeutet das, daß Sie den Dschihad auch gegen die palästinensische Regierung führen werdet?

Überhaupt nicht. Wir werden niemals unsere Waffen gegen Palästinenser erheben. Das ist eine rote Linie für uns, selbst wenn Arafat seine Unterdrückungsmaßnahmen gegen uns fortsetzt.

Interview: Khalil Abied,

Damaskus