Rostbeulen verschenkt

Seit die Bahn privat fährt, gehören die Brücken, die über die Gleise führen, den Kommunen. Aber die wollen sie gar nicht haben  ■ Aus Frankfurt Franco Foraci

Auf die Dachverbände der bundesdeutschen Städte und Gemeinden ist die Bahn AG nicht gut zu sprechen. Die Dialogbrücken sind abgebrochen. Schuld daran sind die anderen Brücken: die von der Bahn. Mit der Privatisierung des Schienenverkehrs hat der Bundestag alle Brücken, die über Gleise führen, zum kostenlosen Gemeindeeigentum erklärt. Damit sind die Kommunen für die Instandsetzung und Wartung verantwortlich. Doch gegen diese Geschenke regt sich heftiger Widerstand. Die Brücken sind oft baufällig und müßten von Grund auf erneuert werden. Dafür fehlt den Gemeinden das Geld.

Beispiel Schwedlerbrücke in Frankfurt/Main. Zentimeterdicke Roststellen an allen Stahlstreben. Von Feuchtigkeit und saurem Regen zerfressene Sockelmauern. Eine Schutzlackierung, die den Namen nicht mehr verdient, weil sie nur noch in Spuren erkennbar ist. Das 240 Meter lange Bauwerk für Fußgänger ist eine von den bundesweit 1.349 Brücken über Schienen, die im Rahmen der Bahnreform von 1994 den Kommunen übertragen wurden. Der Frankfurter Magistrat will nichts von ihnen wissen. „Das ist Ausgabennötigung!“ empört sich der grüne Kämmerer der Mainmetropole, Tom Koenigs. Die Besitzurkunde hat er deshalb nicht unterschrieben.

Im Bundesland Hessen verweigern denn auch sämtliche 126 vom Bund beschenkten Gemeinden die Annahme der Bahnüberführungen. Die nötige Grundsanierung koste pro Brücke mehrere bis Dutzende Millionen Mark, begründet der Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, Erwin Henkel, den Protest der Kommunen.

Allein für die 85 Jahre alte Schwedlerbrücke müßten etwa sechs Millionen Mark aufgewandt werden. Für Frankfurt am Main vielleicht noch eine aufzutreibende Summe, kleinere Orte – die gerade in Hessen besonders häufig zwangsbeschenkt wurden – würde diese Kostenlast an den Rand des Ruins bringen. Henkel: „Zumindest gerieten weit über die Hälfte der Städte durch den Sanierungszwang derart unter finanziellen Druck, daß sie für wichtige andere kommunale Aufgaben keine Mittel mehr hätten.“

Laut Paragraph 19 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EKrG) müssen die Brücken in „ordnungsgemäßem Zustand“ übergeben werden. Ein dehnbarer Begriff. Selbst wenn man die niedrigste Meßlatte anlege, könne davon „bei den meisten Bauwerken keine Rede sein“, sagt Gemeindebundsprecher Henkel.

Der Mühlheimer Dachverband zeigte sich dennoch kompromißbereit. Allerdings unter einer Bedingung: „Wir wollen in jedem einzelnen Fall – entweder aus den Brückenbüchern oder per Gutachten – wenigstens den Nachweis von der Bahn AG, daß die Brücken die nächsten zehn Jahre halten und ohne eine grundsätzliche Instandhaltung auskommen.“ Darauf will sich aber die Bahn nicht einlassen. Nun sollen unabhängige Gutachten schlichten. Denn die Zahl der widerspenstigen Kommunen ist bereits auf über 1.000 gewachsen. Den Vorwurf der mangelnden Bauunterhaltung will das jetzt privatwirtschaftlich geführte Unternehmen nicht auf sich sitzen lassen. Die Gutachterergebnisse sollen Klarheit schaffen und als Grundlage für einmalige Kostenbeteiligungsverhandlungen mit den Städten dienen.

Der Haken: Die Experten sollen lediglich ermitteln, ob die Brücken „in der nächsten Zeit“ begehbar und statisch in Ordnung sind. Rost, Dellen, Löcher, Verfallserscheinungen jeglicher Art zählen nicht, sofern „Mindestsicherheitsstandards“ erfüllt sind. Den Ergebnissen der Gutachten sieht Bahn-Sprecher Thomas Latsch gelassen entgegen: „Wir gehen davon aus, daß die Bahn die Erhaltungsarbeiten ordnungsgemäß durchgeführt hat.“

Klagen von Gemeinden, in manchen Brückenbüchern gebe es seit den fünfziger Jahren keine regelmäßigen Einträge mehr, weist er entschieden zurück. Die Gemeinden hätten außerdem 30 Jahre kostenlos von den jetzt umstrittenen Brücken profitiert. Die Bahn sei bereit, in „unverzügliche Verhandlungen“ einzutreten, sollten die bislang etwa 700 laufenden Gutachten Einwände der Kommunen bestätigen. Auch gehe es nicht darum, so der Bahnsprecher, Brücken im künstlerischen Sinne wiederherzustellen.

Alles deutet darauf hin, daß der Streit vor Gericht fortgesetzt wird. Der schleswig-holsteinische Gemeindetag hat gegen die Neufassung des EKrG beim Bundesverfassungsgericht bereits Beschwerde eingelegt. Beschwerdeführer sind vor allem kleine Gemeinden (Aukrug, Padenstedt, Neudorf- Bornstein), die sich vom Schienenmonopolisten verschaukelt fühlen. Sie sollen löhnen, obwohl sie von der Bahn gar nicht mehr angefahren werden. Ihre Bahnhöfe oder Haltepunkte sind geschlossen.