Der Michael Kohlhaas der DDR

Sieben ehemalige Juristen sind angeklagt, den Regimekritiker Havemann zu Unrecht verurteilt zu haben / Katja Havemann sagte gestern als Zeugin vor dem Landgericht Frankfurt/Oder aus  ■ Aus Frankfurt/Oder Bascha Mika

Frankfurt/Oder (taz) – Was für ein Mensch war Robert Havemann? „Ein linker, sozialistischer Kritiker der Verhältnisse in der DDR“, sagt seine Witwe Katja Havemann, „er stand zur DDR und kritisierte sie aus ihrem Selbstverständnis heraus.“ Katja Havemann wurde gestern als Zeugin vor dem 3. Strafsenat des Landgerichts Frankfurt/Oder vernommen. Angeklagt sind sieben ehemalige DDR-JuristInnen. Ihnen wird Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Sie sollen auf Weisung der Stasi Urteile gegen den Regimekritiker Havemann verhängt und seine Menschenrechte verletzt haben – was auch im Arbeiter- und Bauernstaat nicht Rechtens war.

„War Robert Havemann“, versucht sich der Vorsitzende Richter Joachim Dönitz in historisch-literarischer Anspielung, „als Person eine Art Michael Kohlhaas oder ein Martin Luther?“ – „Ich denke, er war ein unverwechselbares Original“, blockt Katja Havemann die Legendenbildung ab. „Ich wußte, daß er zur Zeit des Hitlerfaschismus Widerstandskämpfer gewesen ist. Das hatte große Anziehungskraft auf mich.“

Nervös berichtet sie, mit leicht stockender Stimme, während ihre Finger am Mikrophon nesteln. Lieber wäre sie gegen die Drangsalierer ihres Mannes als Nebenklägerin statt als Zeugin aufgetreten. Sie malt das Bild des von den Nazis verurteilten Kommunisten Havemann, der sich zum DDR-treuen Sozialisten entwickelte, um sich schließlich zum aufrechten, Stasi- verfolgten Dissidenten zu wandeln. Seit den sechziger Jahren trieb der Naturwissenschaftler Havemann die SED-Führung mit politischen Publikationen, die er im Westen veröffentlichen ließ, zur Weißglut.

Doch der Heldenmythos hat auch seine dunklen Seiten. Staatsanwalt Jan van Rossum: „War Ihnen bekannt, daß Ihr Mann nach dem Krieg für den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet hat?“ Zeugin: „Ja.“ Er habe eine „stalinistische Lebensphase“ gehabt. Staatsanwalt: „Und in den fünfziger Jahren für die DDR-Staatssicherheit?“ Zeugin: „Ja. Er war der Überzeugung, daß man den von allen Seiten angefeindeten Staat DDR mit allen Mitteln stützen müsse.“ Deshalb sei Havemann mit Wissen des MfS regelmäßig in die BRD gereist; dort habe er seine Kontakte genutzt, um Wissenschaftler zu überreden, in der DDR zu arbeiten. Staatsanwalt: „Hat er Menschen ausgehorcht, Informationen über sie an das MfS weitergegeben?“ Zeugin: „Er war von seiner Wesensart völlig ungeeignet, Druck auszuüben.“

Als Katja Havemann ihren Mann 1974 heiratete, war er bereits zum Staatsfeind Nummer eins avanciert. Er war von seinem Lehrstuhl vertrieben, aus der Partei ausgeschlossen und aus der Akademie der Wissenschaften rausgeworfen worden. Um Robert Havemann endgültig mundtot zu machen, saß er sechs Jahre lang unter Hausarrest in Berlin-Grünheide. 1976 hatten ihn die jetzt in Frankfurt/Oder angeklagten StaatsanwältInnen und RichterInnen im Schnellverfahren zu dieser „Aufenthaltsbeschränkung“ verurteilt; 1979 beschuldigten sie ihn eines Devisenvergehens und konfiszierten einen großen Teil seiner Bibliothek und seiner Manuskripte. Beide Verfahren, so die Anklage, nachdem sie 300 Ordner Gauck-Akten studiert hatte, sollen von der Stasi en detail vorbereitet, die Urteile vorgegeben worden sein. Havemann starb 1982 als 72jähriger. 1991 wurden die Urteile gegen ihn vom Bezirksgericht Potsdam kassiert, der Dissident posthum freigesprochen.

Noch auf dem Flur des Gerichts entgehen die angeklagten JuristInnen ihrer Vergangenheit nicht. In einer Verhandlungspause stürzt ein Zuschauer auf eine Staatsanwältin zu. „Hier ist eines Ihrer Opfer“, wirft er der verdutzten Frau an den Kopf. Sie habe ihn zu DDR- Zeiten wegen Menschenhandels anklagen und zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilen lassen. „Ein Schauprozeß war das!“ ruft der Mann erbost. Die ehemalige Juristin wirft ihm einen verkniffenen Blick zu und wendet sich ab.

Der Prozeß wird morgen fortgesetzt.