Teure Pressefreiheit

■ Singapurs Regierung verklagt US-Zeitung wegen „Beleidigung“

Singapur (afp/ap/taz) – Singapurs Regierungsspitze fühlt sich beleidigt und verlangt Schadensersatz: Weil die US-Zeitung International Herald Tribune vor einem Jahr einen Kommentar veröffentlichte, in dem von Vetternwirtschaft in der Führung des Stadtstaates die Rede ist, wurde sie auf Zahlung von insgesamt umgerechnet 1,3 Millionen Mark verklagt. Die Anwälte der IHT-Herausgeber und des Autors des mißliebigen Artikels, Philipp Bowring, machten gestern vor Gericht in Singapur einen tiefen Kotau und erklärten, daß die Zeitung die Veröffentlichung bereue. Man hoffe, daß Gericht werde bei der Festsetzung der Entschädigungssumme berücksichtigen, daß die Zeitung bereits Ende August 1994 den Artikel widerrufen und sich bei der Regierung entschuldigt habe.

Obwohl sie nicht genannt wurden, bezogen der ehemalige Präsident Lee Kuan Yew, sein Sohn und stellvertretender Regierungschef Lee Hsien Long und der als politischer Ziehsohn des alten Lee geltende Premierminister Goh Chok Tong eine Formulierung auf sich, in der von „dynastischer Erbfolge“ in Singapur die Rede ist: Damit könne nur gemeint sein, daß der 43jährige Lee Hsien Long nicht aufgrund eigener Verdienste, sondern nur mit Hilfe seines 71jährigen Vaters zu seinem Posten gekommen sei, sagten ihre Anwälte.

Die Regierung von Singapur ist bekannt für ihre kompromißlose Härte auch gegenüber ausländischen Publikationen, deren Artikel ihr nicht gefallen. Dies ist bereits der zweite Prozeß gegen die IHT in diesem Jahr. Renommierte Zeitschriften wie der Economist, Asian Wall Street Journal und Far Eastern Economic Review durften zeitweise in dem Stadtstaat nicht frei verkauft werden. li