Anklage gegen Radovan Karadi

■ Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wirft auch dem bosnisch-serbischen General Mladi Völkermord vor. Beide machten ihre zweifelhafte Karriere mit dem Zerfall Jugoslawiens

Berlin (taz) – Seit in den vergangenen Tagen in der bosnisch-serbischen Hauptstadt Pale mehrere Granaten einschlugen, wird nicht nur im nahen Sarajevo wild spekuliert. Haben die Franzosen mit ihrer Drohung, die Angriffe der Serben auf ihre Blauhelme nicht länger tatenlos hinnehmen zu wollen, nun ernst gemacht? Haben sie gar das Hautquartier von Radovan Karadžić bombardiert? Sicher sei, so verlautet aus Zentralbosnien, daß sich der Chef der bosnischen Serben schon seit zwei Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt habe.

Vielleicht ist Karadžić jedoch auch nur dabei, die Strategie seiner Armee zu überdenken. Denn die hatte in letzter Zeit einige Rückschläge hinnehmen müssen. Am Berg Igman haben es die Soldaten des bosnisch-serbischen Oberbefehlshabers Ratko Mladić nun nicht nur mit der bosnischen Regierungsarmee, sondern auch mit der Eingreiftruppe der UNO zu tun.

Die Nachricht, vor dem Kriegsverbrechertribunal angeklagt zu werden, hat die beiden Serbenchefs dagegen wohl kaum beeindruckt. Daß sie einst vor den UNO-Richtern in Den Haag stehen werden, halten sie für wenig wahrscheinlich. „Soldaten kämpfen oder sterben. Dazwischen gibt es nichts“, so lautet das Credo des 54jährigen Generals. Mladić ist überzeugt, daß der Westen zu keinen entscheidenden Schritten gegen die Serben in der Lage ist. Letzte Woche erklärte er: „Bis zum Herbst erobern wir Goražde, Bihać und schließlich Sarajevo.“ An einer „Vereinigung aller serbischen Länder“ gibt es für Mladić keinen Zweifel. Ehemalige Vertraute sind jedoch der Ansicht, daß der „Napoleon von Bosnien“ (Selbsteinschätzung) in erster Linie nicht mit den Bosniern, sondern mit seinen Minderwertigkeitskomplexen kämpft.

In diesem Punkt trifft er sich mit Karadžić. Im multikulturellen Tito-Staat hatten beide auf die große Karriere verzichten müssen. Mladić brachte es in der Armee wegen seinen nationalistischen Sprüchen nur bis zum Oberst. Karadžić, der Bauernsohn aus Montenegro, pflegte einen abgrundtiefen Haß gegen die „herrschenden muslimischen Familien“ in Sarajevo. Der heute 50jährige Psychiater vertrat schon in seiner Studienzeit die Ansicht, daß Muslime eigentlich ethnische Serben seien, die während der türkischen Fremdherrschaft den islamischen Glauben angenommen hätten.

Der Aufstieg der beiden Serben kam mit dem Zerfall Jugoslawiens. Der aus der kroatischen Krajina stammende Mladić machte sich einen Namen, als er 1991 serbische Freischärler in Kroatien unterstützte. Karadžićs „Serbische Demokratische Partei“ wurde bei den ersten freien Wahlen in Bosnien im Dezember 1990 zur zweitstärksten Gruppierung im Parlament. Zehn Monate später setzte er sich an die Spitze eines selbsternannten serbischen Parlaments.

Doch obwohl der General und der Psychiater seit Jahren gemeinsam ihre militärischen und politischen Erfolge erzielen, verstummen die Spekulationen über die gegenseitige Rivalität nie. Vor allem in der Zeit, als sich der serbische Präsident Slobodan Milošević verbal von Karadžić zu distanzieren begann, galt der Mladić als der kommende Chef von Pale. Einen Vorteil hat der General gewiß: Während es Karadžić gelang, sich als Gesprächspartner der internationalen Vermittler in Szene zu setzen, zeigte sich Mladić am liebsten „volksnah“. Einer seiner Befehle: „Knüppelt sie nieder.“ her