Schnelles Verfallsdatum des Humankapitals

■ Konrad Tack vom Arbeitsamt Berlin zum „Marktwert“ einer arbeitslosen Politologin

Künftig, so sieht es Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) vor, sollen Erwerbslose, die Arbeitslosenhilfe beziehen, nach pauschalen Vorgaben auf ihren „Marktwert“ hin überprüft werden. Je nach Ergebnis kann die Höhe der Arbeitslosenhilfe sinken. Schon seit 1986 sind die Vermittler der Arbeitsämter per Arbeitsförderungsgesetz angewiesen, alle drei Jahre die Höhe der Arbeitslosenhilfe neu festzusetzen. Je nach Alter, Leistungsfähigkeit, Beruf und Ausbildung kann die Arbeitslosenhilfe also schon heute reduziert werden.

taz: Herr Tack, ich bin 41, habe bei der Sparkasse gelernt, bin über den zweiten Bildungsweg zur Uni gegangen und habe seit dem Abschluß als Politologin erst zwei Jahre Berufserfahrung auf einer ABM-Stelle. Jetzt lebe ich schon geraume Zeit von der Arbeitslosenhilfe und die Prüfung steht an. Wie sieht mein Marktwert aus?

Konrad Tack: Da müßte man zunächst sehen, welche Fähigkeiten vorhanden sind. Sie sagen, Sie haben eine Lehre gemacht ...

... mit 16 ...

... na ja, dann zählt noch die Ausbildung zur Politikwissenschaftlerin. Gleichzeitig verfügen Sie nur über geringe Berufserfahrung. Da stellt sich die Frage, wie sieht die Auftragslage für Politologen aus? Danach würde die künftige Bemessung vorgenommen werden.

Sie haben ja wohl kaum Arbeitsangebote, die auf Politologen zugeschnitten sind.

Dann zählen halt Fähigkeiten, die Sie außerdem noch haben. Da kommt die Bankkauffrau ins Spiel und die Frage, ob diese Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt noch einzusetzen wären.

Wohl kaum. Ich habe meine Ausbildung ja vor mehr als 20 Jahren gemacht.

Da wird's dann kritisch. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: Eine Diplomvolkswirtin arbeitete nach dem Studium zwei Jahre lang in einer Zeitungsredaktion und ist seit 1987 arbeitslos. Die ist vor kurzem neu bemessen worden. Aufgrund der kurzen Berufserfahrung wurde bei ihr das übliche Anfangsgehalt als Volkswirtin zugrunde gelegt. Daraufhin hat sich ihre Arbeitslosenhilfe von 348 Mark auf 322 Mark pro Woche reduziert.

Aber zurück zur Politologin. Wie bewerten Sie meine Leistungsfähigkeit?

Das ist bei diesen geistigen Tätigkeiten kompliziert. Viel komplizierter als beim Handwerk. Wir führen ja kein Examen durch oder so was. Da zählt in erster Linie die bisherige Berufstätigkeit.

Meine Leistungsfähigkeit interessiert also gar nicht?

Man guckt einfach, wie sieht der Arbeitsmarkt aus. Bringt der Arbeitslose die Fähigkeiten mit, die auf dem Markt gefragt sind.

Schlechte Karten für Politologen.

Ich habe über Jahre hinweg im Fachvermittlungsdienst Politologen betreut ...

... und? Sind die heute noch Politologen?

In der Regel nicht. Viele von ihnen arbeiten heute in der Software-Entwicklung.

Ein recht schnelles Verfallsdatum für Sozialwissenschaftler.

Ja, deren Humankapital zählt nur, wenn sie sich über Umschulungen eine Brücke bauen, mit der der Einstieg möglich wird.

Ich hab aber gar keine Lust, als Politologin bei der EDV zu landen. Sie stufen mich also herab. Kann ich so mit der Zeit als Erntehelferin dastehen?

Das sind Gedankenspielchen, die man sich vorstellen kann ...

Und? Gibt's die in der Praxis?

Ich hab es noch nicht erlebt, daß man hier im Arbeitsamt hingeht und sagt, der hat nicht mehr so viel in der Birne, der kann nur noch als Erntehelfer arbeiten. Ich will ja nicht sagen, das gibt es überhaupt nicht. Bei 3,6 Millionen Arbeitslosen, da ist alles möglich. Das Leben ist bunt. Aber ich habe das nicht erlebt. Und ich habe 18 Jahre Vermittlungsarbeit hinter mir. Interview: Karin Flothmann