Vietnam, der Feind von einst, wird heute Mitglied der Asean-Staaten

■ Auf dem jährlichen Außenministertreffen in Brunei gilt das Land als ein nützlicher Partner mit einem großen Markt

Berlin (taz) – Als sich die Regierungen der südostasiatischen Staaten 1967 zur „Association of South East Asian Nations“ (Asean) zusammentaten, hatten sie ganz einfache Ziele vor Augen. Sie wollten sich gegen die Ausbreitung des Kommunismus in der Region verbünden – und mit gegenseitiger Hilfe reich werden.

28 Jahre später hat sich die politische Lage in der Region grundlegend geändert. Bei ihrem heute in Brunei beginnenden alljährlichen Treffen werden die Außenminister der sechs Mitgliedsländer – Singapur, Malaysia, Philippinen, Indonesien, Thailand und Brunei – einen Neuzugang begrüßen: das immer noch von einer kommunistischen Partei beherrschte Vietnam. Und die Region ist über zweistellige Wachstumsraten der exportorientierten Ökonomien reich geworden.

Dabei gibt es enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern. Die drei Millionen Einwohner Singapurs verfügen über ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von über 24.000 Mark, während die 185 Millionen Menschen in Indonesien mit einem durchschnittlichen Einkommen von 1.100 Mark hinterherhinken. Und die Philippinen sind überwiegend katholisch, Thailand buddhistisch und Malaysia und Indonesien muslimisch.

Das ölreiche Brunei, Gastgeber des diesjährigen Treffens, wird von einem muslimischen Monarchen, Sultan Hassanal, regiert, der als reichster Mann der Welt gilt. Seine 270.000 Untertanen dürfen zwar nicht wählen, verfügen aber über ein jährliches Einkommen von 23.000 Mark und zahlen keine Steuern.

Konsens oder Vertagung der Entscheidung

Asean hat es vermocht, diese Differenzen zu überdauern. Von Anfang an galt das Prinzip, Entscheidungen nur im Konsens zu fällen – oder aber sie zu vertagen. Dazu gehörten immer wieder die Versuche, den intraregionalen Handel zu fördern und die geschützten Märkte zu öffnen.

Ein gutes Beispiel dafür ist auch der Konflikt um die Spratleys, eine kleine Gruppe von Atollen im Südchinesischen Meer, wo reiche Öl- und Gasvorkommen vermutet werden. Mehrere Asean-Mitglieder erheben Anspruch auf alle oder einen Teil der Inseln. 1992 vereinbarten sie, alle Dispute im Zusammenhang mit den Spratleys kollektiv und nicht militärisch zu lösen.

Dieser Konflikt wirft auch ein Licht auf die neue Rolle der Asean in der Sicherheitspolitik der Region. Im Februar dieses Jahres hatten die Philippinen herausgefunden, daß chinesisches Militär eines der Spratley-Atolle besetzt hatte, das nach Ansicht der Regierung in Manila Eigentum der Philippinen ist. Dies hat zur Abkühlung der Beziehungen zwischen Asean und China geführt und die Frage nach der Rolle Pekings in der Region mit neuer Dringlichkeit aufgeworfen: Die Asean-Staaten, deren Mitglieder viel und gern in China investieren, begrüßen den wirtschaftlichen Boom beim großen nördlichen Nachbarn sehr. Was aber die Alarmglocken in der Region schrillen läßt, ist das chinesische Muskelspiel im Falle der Spratleys, ebenso wie die Raketentests in unmittelbarer Nähe zu Taiwan in dieser Woche.

Die Diplomaten, die jetzt nach Brunei gereist sind, wissen, daß sie diese Themen anpacken müssen, wenn sie den politischen Einfluß des Verbandes wahren wollen. Dafür hat sich die Asean im vergangenen Jahr ein neues regionales Sicherheitsforum geschaffen (ARF). Am kommenden Dienstag werden die Außenminister der südostasiatischen Staaten im Rahmen von ARF mit ihren Kollegen aus den USA, Kanada, China, der EU, Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea, Rußland, Laos und Papua- Neuguinea zusammentreffen.

China hat versucht, die Spratley-Frage von der Tagesordnung der Sicherheitskonferenz zu verbannen, aber vergeblich. Vietnam, das ebenfalls einen Teil der Spratleys für sich reklamiert, wird seinen neuen Status als Asean-Mitgliedsland dazu nutzen, die Philippinen gegenüber Peking zu unterstützen.

Unangenehme Wendung für China

Für die Regierenden in Peking stellt die Mitgliedschaft Vietnams in der Asean – und mehr noch die gerade erfolgte Normalisierung der Beziehungen zwischen Washington und Hanoi – eine neue, unangenehme Wendung dar. Nach Ansicht der chinesischen Politiker ist dies alles Teil der US-amerikanischen Strategie, Chinas Einfluß in der Region „einzudämmen“.

In den vergangenen Wochen war das Verhältnis zwischen beiden Regierungen äußerst frostig geworden. Sprecher der chinesischen Regierung in Peking haben kürzlich erklärt, China erhoffe sich durch das Treffen von Außenminister Qian Qichen mit seinem US- amerikanischen Kollegen Warren Christopher eine Wiederannäherung. Auf der Tagesordnung wird auch Kambodscha mit der andauernden militärischen Offensive der Roten Khmer stehen; die geplanten französischen Atomtests im Pazifik; der koreanische Atomstreit; und das Wettrüsten innerhalb der Asean selbst. Außerdem wird Birma mit Asean ein Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit schließen und einen Beobachterstatus in Brunei haben.

Im Rampenlicht aber wird Vietnam stehen. Seine EinwohnerInnen haben ein jährliches Pro-Kopf- Einkommen von gerade 280 Mark. Noch fehlt auch die wirtschaftliche Infrastruktur für die Nutzung all der Investitionen und Hilfsgelder, die dem Land zufließen. Dennoch: Aus dem ideologischen Feind, zu dessen Eindämmung Asean einst gegründet wurde, ist in den Augen der südostasiatischen Nachbarn ein nützlicher Partner geworden, der als aufstrebende Wirtschaftsmacht in einem 400 Millionen Menschen umfassenden Markt begrüßt wird. Hugh Williamson

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