Frauen brechen alte Muster auf

In Oldenburg soll eine Frau zur Rabbinerin berufen werden. Ein Novum in der Geschichte der deutschen jüdischen Gemeinden. Einige Männer reagieren sehr verwirrt auf die weibliche Zukunft  ■ Von Anita Kugler

Berlin (taz) – Die jüdische Gemeinde in Oldenburg liebt den Presserummel nicht, der durch die öffentliche Erklärung des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Ignatz Bubis, über Bea Wyler entstanden ist. Kein Interview-Termin mit Deutschlands erster Rabbinerin, die am 1. August in Oldenburg und Braunschweig ihr Amt antreten soll, kein Foto, der Fall soll möglichst intern geklärt werden. „Ich will nicht, daß das ganze zerredet wird“, sagte Sara-Ruth Schuhmann, Vorsitzende der Gemeinde, es „ist das gute Recht“ von Bubis, seine Meinung zu sagen.

Grund des aktuellen Schweigens: Die Deutsche Rabbinerkonferenz will sich auf ihrer Herbsttagung mit der Berufung von Frau Wyler beschäftigen. Es ist ein „Präzedenzfall“, denn es geht um die grundsätzliche Frage, ob Frauen Rabbinerinnen sein dürfen. Bis auf zwei liberale Rabbiner in der Konferenz (Rabbiner Stein, Berlin und Rabbiner Brandt, Dortmund), gehören alle anderen Mitglieder mehr zum orthodoxen Spektrum und die lehnen die Mitwirkung und erst recht die Gestaltung des Gottesdienstes durch Frauen grundsätzlich ab. „Das ist ein Verstoß gegen unsere seit 2.000 Jahren gültigen Gesetze“, bewertet der badische Rabbiner David Soussands gegenüber der Nachrichtenagentur dpa die Berufung, „die Einhaltung von Tradition und Gesetz ist Grundlage des Überlebens und Weiterlebens des Judentums in Deutschland“.

Obwohl der Zentralrat der Juden nicht zuständig ist für die Rabbinerkonferenz, mischte sich Ignatz Bubis mit einer persönlichen Erklärung in den Streit ein. Er gab der Gemeinde Oldenburg zu bedenken, falls sie auf der Berufung von Frau Wyler bestehe, könne sie als Mitglied in der Rabbinerkonferenz nicht akzeptiert werden. Er jedenfalls wolle keinen von Bea Wyler geleiteten Gottesdienst besuchen: „Ich bin in einer anderen Tradition groß geworden.“ Die jüdische Gemeinde Oldenburg wird aber nicht zurückweichen, braucht sie auch nicht, denn jede jüdische Gemeinde entscheidet souverän über ihre eigenen Angelegenheiten. Das System „Einheitsgemeinde“ bedeutet nur, daß sich unter dem Dachverband Zentralrat der Juden alle Richtungen des Judentums wiederfinden können. In religiösen Fragen entscheidet als letzte Instanz die Rabbinerkonferenz, bei der jetzt aber die Möglichkeit besteht, daß sie sich über diesen Streit spaltet.

Sehr aufmerksam beobachtet wird diese Auseinandersetzung nicht nur in Oldenburg und Bremen, wo Frauen schon seit längerem aktiv den Gottesdienst mitgestalten, sondern auch in Göttingen, Frankfurt, Köln, Dortmund und Berlin. Sie verweisen auf die amerikanischen reformerischen und liberalen jüdischen Gemeinden, die schon seit Jahren Rabbinerinnen beschäftigen, ohne daß das Judentum zusammengebrochen ist. In Berlin wird es im Herbst über die weibliche Mitwirkung an Gottesdiensten eine Auseinandersetzung geben. Der Synagogenvorstand soll neu gewählt werden und laut der Satzung, die aus dem 19. Jahrhundert stammt, dürfen Frauen nicht kandidieren. Damit sind eine ganze Reihe Frauen aber nicht einverstanden, ihre Position wird auch von Mitgliedern des Gemeindevorstandes geteilt. Der „Fall“ Wyler hat also eine grundsätzliche Bedeutung, er ist dazu angetan, die schon seit langem schwelenden Konflikte über die Zukunft des Judentums in Deutschland auszutragen. Kräftig diskutiert seit geraumer Zeit eine Gruppe in Frankfurt über die Neugründung eines Liberalen Dachverbandes, faktisch einer Parallelorganisation zum Zentralrat der Juden in Deutschland.

Bea Wyler ist für die kommende Auseinandersetzung gut gerüstet. Die 44jährige Schweizerin (wo es ebenfalls Rabbinerinnen gibt) hat ihre religöse Ausbildung in New York und London absolviert. Dort sind 40 Prozent der Studierenden Frauen. Bea Wyler bezeichnet sich als „Feministin“, die mit ihrem Amt die „erstarrten“ Positionen in Thora- und Talmud-Auslegung aufbrechen will. Streiten hat sie gelernt. Vor ihrer Rabbinatsausbildung studierte sie Agrarwissenschaft und war in Basel Sprecherin eines Chemiekonzerns.