"Blavatzkys Kinder" - Teil 13 (Krimi)

Teil 13

Wütend war Miriam vor Robert und Soliza aus der Botschaft gestürmt.

Ein Journalist einer US-Nachrichtenagentur gab ihnen schließlich den entscheidenden Hinweis: „1991 hat mir ein rumänischer Kollege erzählt, daß in manchen Städten Rumäniens auf offener Straße um Kinder gefeilscht wird. Er sagte: Nicht mehr nur in Asien und Lateinamerika durchkämmen ,Babyjäger‘ die Ghettos und Dörfer, sondern jetzt auch angeblich in Osteuropa.“

„Warum unternimmt niemand etwas dagegen?“ fragte Robert.

„Ich weiß es nicht. Fragen Sie ihn. Er ist ein kluger alter Mann und heißt Ion Petrescu.“

Der Journalist gab ihnen Petrescus Telefonnummer.

„Fragt ihn, ob er euch empfangen will. Er hat viel erlebt.“

Soliza verabschiedete sich. Sie war an der Reihe, auf das Gepäck am Bahnhof aufzupassen. Die alte Frau hatte ihre eigenen Pläne für den Abend.

Ion Petrescu hatte sich nach seiner Pensionierung entschieden, in Budapest zu bleiben. Er fühlte sich hier wohler als in Rumänien, wo er nur noch entfernte Verwandte hatte. Er wohnte am Stadtrand unter dem Dach eines Neubaus mit Aufzug und servierte ihnen in seinem altmodischen Wohnzimmer mit moosgrünen Polstermöbeln Kaffee, Cognac und Kekse. Überall Bücherregale. An einer Wand hingen gerahmte Fotos von Menschen, die dem Mann nahegestanden zu haben schienen. An den meisten Fotos waren kleine schwarze Schleifen. Den ungarischen Text eines alten verfärbten Zeitungsartikels konnten sie nicht entziffern, aber das Foto erkannten sie: das Eingangstor eines KZs und darüber das Schild „Arbeit macht frei“. Auschwitz.

Der weißhaarige Mann erzählte ihnen bereitwillig, was er wußte: „1990 wurden Busse voll rumänischer Kinder aus dem Land geschafft. Dann hat die rumänische Regierung den Kinderhandel etwas erschwert, aber er geht trotzdem weiter. Manche Hotels schließen Geschäfte mit ausländischen Ehepaaren ab, die bei ihnen absteigen. Sie zahlen für Adressen von Agenten. Diese Agenten kaufen armen Leuten auf dem Land ihre Kinder ab. Manche Frauen kommen aber auch selbst in die Stadt. Ich habe einmal in einer Hotelhalle beobachtet, wie Frauen ihre Kinder anboten und teuer gekleidete nordamerikanische, skandinavische und deutsche Ehepaare in einem großen Saal des Hotels von Frau zu Frau schritten und sich wie in einem Supermarkt das passende Baby aussuchten.“

Petrescu schenkte seinen Gästen Kaffee ein und fuhr fort: „Kinder mit dunklerer Haut oder solche, die schon etwas älter waren, hatten keine Chance auf diesem Supermarkt der kinderlosen Reichen. Den höchsten Preis erzielte an diesem Tag ein etwa vier Monate altes hellhäutiges Baby mit blauen Augen. Die begeisterten kanadischen Käufer zahlten achtzigtausend US-Dollar! Vorher haben sie sich mit einem schwedischen Ehepaar um das Kind gestritten. Aber die konnten nicht so viel Geld ausgeben. Es war eine gut organisierte Mafia: Die Hotels kannten die Agenten, die bezahlten Rechtsanwälte und Notare, und die Kinder wurden mit gefälschten Adoptionspapieren aus dem Land geschafft. Den neuesten Trick hat sich ein Arzt ausgedacht. Er erzählte rumänischen und ungarischen Frauen, die in seinem Krankenhaus entbunden haben, ihr Kind sei gestorben, und zeigte ihnen den Totenschein, während er in Wirklichkeit das neugeborene Kind einer Ausländerin übergab, die in seinem Krankenhaus ein Bett gebucht hatte. Die konnte ein paar Tage später ohne weitere Formalitäten mit ihrem eigenen, angeblich in Rumänien geborenen Kind das Land verlassen. Der Arzt berechnete ihr einen Pauschalpreis von fünfzigtausend Mark plus Krankenhauskosten.“

„Was könnte mit Solizas Kind passiert sein?“ fragte Robert.

Ion Petrescu sah aus dem Fenster. Er hat ein gutes Gesicht, dachte Miriam. Schöne Falten an den richtigen Stellen. Ein bißchen traurig, aber nicht zynisch.

„Ein Freund erzählte mir von einem Gerücht über eine neue Art von Kinderhandel. Es muß eine besonders gut getarnte Band sein. Sie rauben Kinder, kaufen sie aber auch, wenn sie billig genug sind. Niemand weiß, wer sie sind. Man hat nicht einmal Hinweise, über welche Grenze sie sich in den Westen absetzen. Sie sind wohl auf Deutschland als Abnehmerland spezialisiert, aber wohin die Kinder kommen, ist unbekannt. Die Gerüchte besagen, daß es bei diesen Machenschaften nicht nur um Adoption geht.“

„Was soll das heißen?“ wollte Miriam wissen.Fortsetzung folgt