Das Portrait
: Tabubrecherin

■ Bea Wyler

Rabbinerin Bea Wyler Foto: Appelius

„Aber sie sehen gar nicht aus wie jemand, der koscher ißt ...“, meinte eine entgeisterte Stewardeß beim Verteilen der Essensmärkchen. Daß die Schweizerin Bea Wyler (44) einmal Deutschlands erste Rabbinerin seit dem Ende der Nazi-Diktatur sein würde, hätte die gelernte Agronomin vor einigen Jahren selbst nicht geglaubt. Sie hatte einen gutbezahlten Job in der PR-Abteilung eines Chemie-Multis in Basel, aber zufrieden war sie nicht: „Je länger ich so lebte, desto unglücklicher wurde ich mit dem, was ich aus meinem Leben machte.“ Damals engagierte sie sich in der feministischen Bewegung und war drauf und dran, sich vom Judentum schon seiner „patriarchalen“ Züge wegen loszusagen. Dann aber siegte die Neugier: „Bevor man es wegwirft, will man wissen, was man wegwirft.“

Sie begann ihr Hebräisch aufzufrischen und von einem intellektuellen Standpunkt aus ein großes Interesse an den jüdischen Traditionen zu entwickeln. Das ging so weit, daß sie ihren Job kündigte und nach Israel ging. Der „Kulturschock war sehr heftig“, aber „ich begann das unglaublich schöne Land“ zu lieben. In Jerusalem, erzählt Bea Wyler, „bin ich religiös auf den Geschmack gekommen“. Sie beschloß, sich zur Rabbinerin ausbilden zu lassen. Nach einem Jahr am „Leo-Baeck-College“ in London setzte sie ihre Ausbildung am „Jewish Theological Seminary of America“, dem Rabbiner-Seminar der Konservativen Bewegung (vergleichbar mit der liberalen Richtung in Deutschland, Anm. d. Red.) fort. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Berlin, wo sie in einer Synagoge nach dem regulären Gottesdienst für Interessierte Thoraabschnitte deutete, wurde sie im Frühjahr dieses Jahr in den USA ordiniert. Es wäre leichter gewesen, in Amerika Rabbinerin zu werden, aber ihre Entscheidung stand fest: „Ich bin eine europäische Jüdin, und ich gehöre hierher.“

Ab 1. August wird sie die beiden jungen Gemeinden in Oldenburg und Braunschweig betreuen, sie kennt sie seit ihrem Studium und freut sich auf ihre Arbeit. Über die grundsätzlichen Kontroversen, die sie erwartet, und über ihre Ablehnung durch die Rabbinerkonferenz, berichteten wir gestern. Bea Wyler hingegen verweist auf die 20er Jahre, in denen in Deutschland mehrere Frauen sich zu Rabbinerinnen haben ausbilden lassen. Die Nazi-Verbrechen haben diese Tradition zerstört, sagt sie, „aber jetzt ist der Faden wieder aufgenommen“. Stefan Appelius