Topmanager des Kriegshandwerks

Klaus Naumann ist der erste Militär im Staate. Mit Disziplin und Durchsetzungskraft hat er der Bundeswehr eine neue Corporate identity verpaßt. Dank ihres Generalinspekteurs ist sie nun zu allem bereit.  ■ Von Bascha Mika

Gerade gestanden! Brust raus, Bauch rein, Schultern nach hinten! Präsentiert das Geweeehr! – Wenn Klaus Naumann die festgeschlossenen Reihen seiner Truppe abschreitet, so aufrecht, als hätte er statt Wirbeln eine Hartgummisäule im Rücken, bleibt kein Zweifel: Hier kommt der Chef persönlich. Die Miene teilt ein hauchdünnes Lächeln, die grünbraunen Augen glitzern forschend, seine Uniform verbreitet den Nimbus der Macht. Klaus Dieter Naumann, 56, ist Generalinspekteur der Bundeswehr. Der oberste deutsche Soldat.

Jahrzehntelang war der Bundeswehr eines verwehrt: der Tod auf dem Feld der Ehre. Weil sie keine normale Armee war und die Bundesrepublik kein souveräner Staat, blieb ihr diese Erfahrung versagt. Doch immerhin hatte die Truppe einen soliden Feind. Der saß im Osten und war als Sinnstifter bestens geeignet. Dann kam das Jahr 1989. Der Feind wollte keiner mehr sein, da war kein Kalter Krieg und keine Mauer mehr. Die Bundeswehr schien so unnötig wie ein Kropf. Eine bedrohlich entspannte Lage für den Berufssoldaten Naumann, der gern den Preußenkönig Friedrich II. zitiert: „Diplomatie ohne Waffen ist wie Musik ohne Instrumente.“

Das Land versank in Friedensduselei, die Truppe in Defätismus. Seit der Wiederbewaffnung lastete nicht ein solcher Legitimations- und Akzeptanzdruck auf dem Militär. Das Unternehmen Bundeswehr steckte tief in der Krise.

Auftritt Naumann! 1991 präsentierte ihn Kanzler Kohl – gegen den Willen des damaligen Verteidigungsministers Stoltenberg – als seinen Mann auf der Bonner Hardthöhe.

„Ich bin ein Gewissenstäter“, gestand der oberste Soldat beim Amtsantritt. Niemand zuvor hatte so rasant in der Bundeswehr Karriere gemacht. Mit derselben Zielstrebigkeit verschaffte er der Truppe eine neue Corporate identity. Dafür kämpfte er auch an der Sophistenfront. Zwei seiner Sprachschöpfungen machten schnell die Runde. „Es reicht nicht, Sicherheit in Europa zu erreichen, sondern es gilt, Sicherheit für Europa zu gestalten.“ Und: „Militärische Mittel bilden gewissermaßen das äußerste Mittel, die Ultima ratio, was bekanntlich nicht als letztes Mittel zu übersetzen ist.“

Gerade vier Jahre auf Posten, hat er die Schlacht so gut wie gewonnen. Die deutsche „Sonderrolle“ hat ausgedient. Die Bundeswehr wird zügig umgebaut; aus einer territorialen Verteidigungsarmee entsteht eine weltweit einsatzfähige, mobile Streitmacht. In Kambodscha, Somalia, im Irak und im Adriaraum demonstrierte sie bereits ihre Einsatzfreude. Ihr Auftrag ist nicht mehr auf Selbstverteidigung in der westlichen Allianz beschränkt. Deutsche Tornadobomber warten zur Zeit auf ihren ersten Kampfeinsatz in der Nachkriegsgeschichte. Und der Soldatentod ist kein bloßes Versprechen mehr. „Auch das“, sinniert Naumann, „gehört zur neuen Dimension unseres Auftrages.“

Was für einen Mann hat sich Kohl da geholt?

Auf den ersten Blick traut man ihm wenig zu. Darunter hat der ehrgeizige Streber in ihm bestimmt schon oft gelitten. Naumann kommt daher wie ein Bankbeamter: tadellos gebügelt, mit winzigem Bauchansatz, Brille und vorne leicht schütterem Haar. Halb Pedant, halb Vertrauensmann. Seine Sätze fließen sparsam, mit leis knarrendem Ton. Die Statur ist mittelgroß, die Gesten sind knapp; spontan reagieren nur die äußerst wachen, lebhaften Augen.

„Naumann ist ein zurückhaltender, schüchterner Denker“, vermuteten die Verteidigungsexperten der Bündnisgrünen zunächst. Ein General, der gern als „Schöngeist“ gehandelt wird, weil er Hesse und Thomas Mann kennt.

Doch Täuschen gehört zur Kriegskunst. Niemals entgleist dem stillen Strategen, dessen Panzer aus vollendeter Selbstbeherrschung besteht, die Miene. Nie erschreckt er mit martialischem Gehabe. Hinter der perfekten Fassade des „Bürgers in Uniform“ verbirgt sich der moderne Soldat. Weder Kommißkopp noch Brüllaffe, sondern kühler Planer. Ein Topmanager des Kriegshandwerks. „Dieser Mann“, warnt Oberstleutnant Helmuth Prieß vom „Darmstädter Signal“, einem Kreis kritischer Soldaten, „ist ein äußerst gefährlicher Militärpolitiker.“ Und die Bündnisgrünen heute: „Er geht über Leichen.“

Wie hat der Mann es geschafft, die alte Bundeswehr so gründlich zu beerdigen? Er hat die „Krise“ als „Chance zum Wandel“ begriffen. Bereits Anfang 1989 – als die Mauer noch stand – hatte Naumann die Richtung angezeigt: „Die deutsche Einschätzung der Rolle militärischer Macht ist es, die unsere Position im Bündnis so ungeheuer erschwert. Solange wir diesen Widerspruch nicht auflösen und uns zur militärischen Machtanwendung bekennen können, werden wir im zusammenwachsenden Europa eine untergeordnete Rolle spielen.“

Der General erkannte, daß Angriff die beste Verteidigung ist. Während sich seine Kameraden in der Krise ängstlich an alte Besitzstände klammerten, entwickelte er Konzepte für eine Armee nach den Wiener Abrüstungsverhandlungen und für eine veränderte Nato. Derweil Außenminister Genscher noch an ein bundeswehrfreies Ostdeutschland dachte und die Nato durch die KSZE ersetzen wollte, warb Naumann bereits beim Kanzler für einen Osten ohne alliierte Truppen – aber mit deutschen Nato-Soldaten.

Im November 1992 – Naumann war gerade ein Jahr Generalinspekteur – setzte Verteidigungsminister Rühe die Verteidigungspolitischen Richtlinien in Kraft. Am Parlament vorbei, ein richtiger kleiner Putsch. Darin heißt es: „Deutschland ist eine kontinentale Mittelmacht und exportabhängige Industrienation. Zu den vitalen Sicherheitsinteressen deutscher Politik gehört deshalb die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.“ Wer Rühe da die Feder geführt hat, ist ein offenes Geheimnis: sein oberster militärischer Berater, der Generalinspekteur. Damit das deutsche Militär seiner neuen Aufgabe gerecht werden kann, gab ihm Naumann eine neue Struktur. Die „Hauptverteidingungskräfte“ widmen sich der Landesverteidigung – dem traditionellen Auftrag der Bundeswehr. Die sogenannten „Krisenreaktionskräfte“ sind die schnelle Eingreiftruppe. Die modernen Kämpfer agieren weltweit innerhalb von Nato- oder anderen multinationalen Verbänden.

Bosnien hätte es auch für den General nicht gerade sein müssen. „Eine militärische Lösung für diesen Konflikt“, sagte er noch zu Jahresbeginn, „gibt es nicht. Wenn der Frieden nicht von innen kommt, können Sie ihn nicht von außen aufzwingen.“ Trotzdem erfüllt bereits die Debatte um den Einsatz der Tornados eine wichtige Funktion: 50 Jahre nach Kriegsende gibt es keinen klaren innenpolitischen Konsens mehr, was die Bundesrepublik militärisch darf. Während „unsere Jungs“ ihre „Mission“ in Kambodscha erfüllten, erklärte der Inspekteur der Fernsehöffentlichkeit stolz: „Zum erstenmal seit 1944 verbringen deutsche Soldaten im Einsatz das Weihnachtsfest außerhalb der Heimat.“ Systematisch wurde die zivile Gesellschaft an die Vorstellung vom weltweiten Einsatz deutscher Truppen gewöhnt. Dieser Gewöhnungseffekt ist nicht zu verachten, sollten einmal – wie in den Verteidigungspolitischen Richtlinien beschrieben – deutsche Interessen ernsthaft auf dem Spiel stehen.

Naumann hat der Bundeswehr nie dagewesene Optionen verschafft. Wen wundert's, daß auf seinem Gesicht so ein stilles Gelächter klebt? Ein halb spöttisches, halb sardonisches Grinsen, wo immer er auftritt. Oder ist es nur der ein wenig schief nach oben gezogene Mundwinkel, der nach steter Belustigung aussieht?

Eine neue Bundeswehr braucht den „neuen Soldaten“. Naumann: „Es muß gefechtsnah oder kriegsnah ausgebildet werden.“ Härtere Ausbildung und Sinnstiftung verordnete der Manager der Truppe. Seine Lieblingsvision ist der Soldat als Mischung aus präziser Kampfmaschine und Streetworker. „Wir brauchen Kämpfer, die in schwierigster Lage Selbstbeherrschung, Einfühlungsvermögen und Verständnis für ihr Umfeld zeigen.“

Beim eigenen Auftreten hält sich Naumann lieber an sein Lebensmotto „Halten und beißen“. Was die Politik angeht, hat er mehr als einmal zugeschnappt: Die Bundeswehr dürfe nicht auf Verteidigungsaufgaben beschränkt bleiben, konstatierte er mit tiefgefrorenem Fanatismus. Die „Selbstblockade“ mache sie zum Gespött im Atlantischen Bündnis; solche Sicherheitspolitik füge Deutschland schweren Schaden zu. Wo er als Militär hätte schweigen müssen, griff der Generalinspekteur politischen Debatten und Entscheidungen ständig vor. Stets mißachtete er souverän den Primat der Politik. Da nützte es gar nichts, daß ihn Kanzler und Verteidigungsminster zurückpfiffen. Der Militär sprach, wo der Minister sich taktisch zurückhielt. So kam es in die Welt – ganz im Sinne der Regierungspolitiker. Ein Spiel mit fest verteilten Rollen.

Es ging auf: Die Bundeswehr ist voll da. Naumann hat sein Werk fast vollendet. Weswegen er demnächst Vorsitzender des Nato-Militärausschusses in Brüssel wird, des wichtigsten Nato-Gremiums.

Mag durch taktische Manöver der Militär im Manne befriedigt worden sein – war es der Narziß auch? Bedauert Klaus Naumann, als oberster Soldat am Gängelband der Politik zu laufen? Wünscht er sich nicht die gleiche Machtfülle wie Militärs anderer Länder? Der Generalinspekteur offenbart freimütig: „Meine Funktion entspricht der eines Generalstabschefs.“ In Argentinien, in Chile oder der Türkei haben sich Generalstabschefs nicht dem Primat der Politik unterzuordnen.

In einem anderen Unternehmen wären Naumanns Talente weniger verschwendet gewesen. Schon sein Klassenlehrer hatte den Oberschüler vor dem Soldatenberuf gewarnt: „Dafür bist du nicht dumm genug!“